Vögelfrei
Ich frage mich immer, wie die erfolgreichste Hure der Stadt noch Zeit zum Lesen findet. »… Römische Muttergöttin. Verwandt mit Yoni aus dem Kamasutra. Himmelskönigin, Jungfrau-Mutter, Göttin der erotischen Liebe, Seele einer jeden Frau. Was für Männer der Genius, ist für Frauen die Juno.« Sie nimmt einen tiefen Schluck. »Nur leider komplett auf der Strecke geblieben im Patriarchat. Göttin der Ehe und Familie. Aber auch des Kampfgeistes und der Tapferkeit. Sogar Patronin des Krieges. Ihr Zeichen ist die Lilie, das Yoni, der Pfau und ebendieses Dings, dieses X mit dem umgekehrten Kreuz. Und die Kaurischnecke.«
»Hätte ich auch auf die Menüfolge setzen können«, scherze ich. »Schnecken, meine ich, nicht Lilien.«
»Dann stellen wir eben überall Lilien hin, wenn dir das was bedeutet«, schlug Leo vor und nickte zu den großen leeren Vasen auf der Fensterbank. Ich lehnte ab.
»Keinesfalls. So was Besonderes ist das Zeichen gar nicht, das haben wahrscheinlich viele. Nachdem die Arschgeweihe außer Mode gekommen sind, stechen die sich jetzt doch alle was Bedeutsames irgendwohin, wie den Gütestempel im Schlachthof.«
»Du ja auch«, sagte Leo mit einem vielsagenden Grinsen.
»Ja«, seufzte ich, »ich bin die dämlichste von allen.«
Er grinste noch breiter. »Wir könnten als Eröffnungsangebot so eine Art Sex-Los-Wochos anbieten, jeder Fick zum halben Preis, und das nennen wir dann Trottelwochen!«
Je länger ich über unsere Schnapsidee von der Sexcomedy mit Livechat nachdachte, desto mehr Lust hatte ich dazu. Ein bisschen Spaß konnten Leo und ich gut brauchen. Wenn es außerdem noch Geld brachte - ihm damit die Freiheit von einem bedrohlichen Spinner und mir die Genugtuung -, dann war das die Eier legende Wollmilchsau.
Ich schob die großen Kartons, die am Vormittag geliefert worden waren, ins Schlafzimmer und öffnete sie, um Leo meine Schätze zu zeigen. »Hier! Den ganzen Krempel hab ich fast umsonst bekommen.« Das stimmte zwar nicht, aber seitdem ich eine Kreditkarte besaß, die sich ständig auffüllte wie der Milchbreitopf aus dem Märchen, war für mich sowieso alles gratis.
Ich packte Federboas aus, Clownskostüme, große Tüten mit Ballons, eine Heliumflasche, Gasmasken, Gummikleidung, Serviererinnen-Outfits, Ledergeschirr, Pferdeputzzeug, Lebensmittelattrappen, Plastikfolie, Stofftiere, Waschbärenmasken und Hasenkostüme; Sprühsahne, eine ganze Palette Wackelpudding und am Schluss meine Highlights: einen grünen Plüschanzug mit passender Oskar-Maske und Mülltonnendeckel und ein Dings aus unendlichen Mengen gelber Federn.
Leo kreischte entzückt. »Bibo! Der Schwulvogel aus der Sesamstraße ! Der tuntigste Broiler, der je aus einem Hähnchengrill entkommen ist!«
Wir bewarfen uns mit all den Sachen, wickelten uns die Federboas um den Hals und stülpten die Clownsnasen über, lachten und kitzelten uns und landeten schließlich völlig erschöpft in einem unglaublichen Chaos auf Leos Bett.
Ich tastete mich zu seinem Reißverschluss vor, aber er gab mir einen Klaps auf die Finger. »Nix da! Erst müssen wir hier Klarschiff machen. Dann überlegen wir uns einen Fahrplan für unsere erste Woche im Pornogewerbe. Gefickt wird erst wieder morgen - und bitte telegen.«
Ich seufzte ergeben und verschwand in die Küche, um erst mal zwanzig Packungen grünen Wackelpudding zu verarbeiten, damit er bis morgen fest werden konnte.
Die nächste Woche war ein einziger Lachgastrip. Wozu Drogen nehmen, wenn man in Clownskostümen ficken kann? Wir verwandelten Leos Schlafzimmer in Miss Piggys schweinischste Fantasiewelt und führten eine bunte, schrille Orgie auf. Mit den Ballons fingen wir an. Im Internet hatte ich Looner-Filme gefunden, in denen sich mäßig begeisterte Mädchen in Unterwäsche damit beschäftigten, Ballons mit Heliumgas zu füllen und dann zum Platzen zu bringen. Mir war nicht ganz klar, wo dabei der Kick sein sollte, aber bitte! Auf Gottes wunderlicher Weide ist für jeden der richtige Grashalm dabei. Also trat ich mit einer Tiffy-Maske über den Augen und ansonsten nackt ins Bild und machte mich ans Werk. Ich blies die Ballons auf, rieb mich daran, ritt darauf, bis sie platzten, ließ sie obszön durch meine Hände gleiten oder lutschte sie und kam mir schon ziemlich merkwürdig vor, bis Leo vor dem Computer aufgeregt herumhüpfte
und mir bedeutete, wir hätten tatsächlich einen Besucher. Ich nickte geduldig, denn natürlich wusste ich, wer dieser Besucher war.
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