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Vögelfrei

Titel: Vögelfrei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie Andresky
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weil wir uns nicht richtig damit auskannten. Wir bereiteten das Sesamstraßen -Set vor und knobelten, wer Bi-Beau - Der gelbe Geilgeier sein musste. Ich war froh, als es Leo traf. Ich schlüpfte in den grünen Plüschanzug von Oskar aus der Mülltonne, sang leise »Mana mana« vor mich hin und machte Leo noch darauf aufmerksam, dass dieser Song ursprünglich ein Porno-Soundtrack gewesen war, bevor ihn die Muppets berühmt machten. Und dass er jetzt wieder seiner ursprünglichen Bestimmung zugeführt
wurde. Aber Leo hörte kaum auf mich, als das Lämpchen an der Kamera blinkte; er war nervös.
    Ich fing an, »Wer wie was?« zu singen, um gleich darauf Bibo, wie es vereinbart war, in ein Gespräch über Gruppensex zu verwickeln. Wir hatten vor, vom Dirtytalk langsam zu einer Art Aufklärungsfilmton überzugehen, damit wir schließlich das eine oder andere mit vollem Körpereinsatz demonstrieren konnten. Ein schneller Blick sagte uns, dass beide User online waren.
    »Hey!, liebe Besucher«, rief ich in die Kamera, »kommt, spielt mit, wir lernen heute das Fickalphabet. Ich fang an. Also A wie anal, B wie … Hey!, Bumbsbibo, du bist dran.«
    Aber Bibo schüttelte den Kopf: »Unser Gast ist dran. Hallo, Fremder. Was fällt dir zu B ein?«
    »Ich geb dir einen Tipp«, rief ich dazwischen. »Wenn ich es habe, mach ich es nackig für dich!«
    Nach einer Weile erschien auf dem Bildschirm die Zeile:
    > Malte: moechte nicht raten. seh euch nur beim spielen zu.
    Ich legte mich bäuchlings auf unsere Kissenlandschaft und tippte zurück.
    > Hallo, Malte, alles klar? Was sollen wir denn spielen?
    Diesmal kam die Antwort schneller.
    > Malte: ihr moegt euch wirklich, oder tut ihr nur so?
    > Wir sind Freunde.
    > Malte: ich wuerde gern mal sehen, wie ihr euch kuesst.
    > Klar, wird gemacht.
    > Malte: ohne dieses ganze zeugs. einfach nur so. normal anziehen und kuessen.
    > Umziehen ist okay, aber dann müssen wir eine kurze Pause machen, wir brauchen Masken.
    > Malte: verstehe. ich warte.

    Ich zog Leo vom Bett hinter die Kamera. Ich kann selbst nicht genau sagen, warum ich mich so beeilte, wo doch jede zusätzliche Minute, während der unsere Sendung online und der User in der Leitung war, bares Geld für uns bedeutete. Irgendetwas an ihm rührte mich an. Vielleicht schon der einfache Name. Er hätte sich auch unter »Stecher2009« einloggen können oder »Superschwanzficktdich«, aber er hatte einfach einen Vornamen genommen, und wahrscheinlich - ich spürte das - seinen richtigen. Sein Wunsch nach einem Kuss war so einfach und in diesem Setting gleichzeitig so merkwürdig, dass es in meinem Bauch prickelte.
    Wir nahmen schnell unsere Alltagskleidung von der Heizung und die Zorro-Masken vom Regal, mit denen wir eigentlich eine Panzerknackerorgie hatten darstellen wollen, und krabbelten zurück auf die Spielwiese. Beide User waren noch da.
    > Einfach nur küssen, ja?
    > Malte: richtig kuessen. nicht spielen.
    Nach all der Maskerade der letzten Zeit war es seltsam, sich plötzlich in normaler Kleidung zu sehen. Ohne Perücken, Federboas, Riesenohren, Clownsnasen, Gummikleidchen, Schwesterntracht, Dirndl oder Tierkostüm. Mir wurde wieder einmal bewusst, dass ich, obwohl ich mehrmals am Tag mit Leo vögelte, kaum etwas über ihn wusste.
    Fast war es wie bei diesen Partyspielen in der Schule, bei denen man mit einem fremden Jungen für eine Weile in einen Schrank oder eine dunkle Abstellkammer gesperrt wurde. Und während man drinnen verlegen und wortlos darauf wartete, dass die Zeit vorbeiging, lachte
und johlte draußen die übrige Meute und überbot sich mit Ideen, was im Schrank wohl gerade an Sauereien ablief. Einmal gab es mitten in einem dieser Spiele eine Unterbrechung. Ich weiß nicht mehr, ob ein Feuerwerk abgebrannt oder oben in der Küche eine Eistorte angeschnitten wurde. Jedenfalls verließen alle anderen Kinder den Partykeller, und ich stand mit einem pickligen Jungen aus der Parallelklasse in einer Vorratskammer, in der es so eng war, dass man sich nur an ein Bügelbrett lehnen konnte. Wir schwiegen uns eine Ewigkeit an, bis wir schließlich anfingen, uns zu unterhalten. Über Belanglosigkeiten. Was die da draußen gerade machten, und wie Mathe war und die Schule überhaupt. Ich fand es richtig nett. Als die Tür endlich wieder aufgeschlossen wurde, rannte der Junge wie von einer Tarantel gestochen an mir vorbei und brüllte die ganze Zeit: »Die hat mit der Zunge an meinem Ohr rumgemacht!«
     
    Jetzt war ich wieder

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