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Vögelfrei

Titel: Vögelfrei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie Andresky
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Vergewaltigungen die Rede. In Amsterdam läuft dieses
Vampirdings gut. Du hast diese Freundin übrigens kennengelernt; sie hat die Vampirfotos von uns beiden geschossen. Es geht das Gerücht, dass er es bei einer Session übertrieben hat. Das Mädchen wusste nicht genau, worauf sie sich einließ, und ist später mit einem Blutverlust, der nicht mehr lustig war, ins Krankenhaus gekommen. Ein paar Wochen später habe ich einen anonymen Zettel bekommen, auf dem stand, er habe versucht, ein anderes Mädchen zu pfählen. Ob das stimmt, weiß ich nicht, aber es hat in dieser Zeit Angriffe und auch zwei tote Mädchen gegeben, im Gothic-Milieu in Amsterdam und Maastricht.«
    Ich schluckte. Kein Wunder, dass sie ihn loswerden wollte.
    »Die einzige Möglichkeit, damit er endlich verschwindet, ist eine Session. Er hat gesagt, wenn ich seinen Geschmack treffe, würde er mich in Ruhe lassen.«
    Wir saßen lange schweigend am Küchentisch. Dann nahm ich Gemmas Hand und sagte: »Ich vertraue dir. Denk dir was für ihn aus. Ich mache mit.«
     
    Das, was Gemma sich ausdachte, war eine Kiste. Massives Kirschholz, mannshoch, sehr eng, mit einer funzeligen Beleuchtung. Sie wurde aufrecht stehend hinten verschlossen und hatte an der Rückwand einen Eisenring. In der Mitte war sie durch ein dickes Drahtgeflecht geteilt. Gemma führte mir die Kiste vor, als ihre Mitarbeiter gegangen waren.
    »Er wird hier drin stehen, mit dem Gesicht zum Draht. Seine Hände sind hinter dem Rücken gefesselt und mit einer Eisenkette am Ring befestigt. Dann wird die Kiste
geschlossen. Sie steht in einer Art leerem Bassin. Du wartest schon darin, nackt, mit einer Augenbinde und Wachspfropfen in den Ohren. Deine Hände werden auf dem Rücken gefesselt sein. Es ist niemand sonst im Raum. Du bist ganz allein mit ihm. Er kann dich sehen und riechen, und, das ist das Entscheidende - er wird dich mit der Zungenspitze berühren können.«
    Ich zuckte zusammen.
    »Seine Hände sind gefesselt, und er kann dich nicht beißen, dazu ist das Drahtgeflecht zu engmaschig. Und glaub mir, das hat seinen Sinn, denn er würde genau das tun, wenn er könnte. Ihr steht dicht zusammen. Das Bassin wird mit Erde gefüllt. Oben ist eine Vorrichtung, damit ihr Luft bekommt, aber im Prinzip begraben wir euch gemeinsam. Es wird für dich ein klaustrophobischer Alptraum, fünf Minuten lang, sobald wir die Kiste ganz mit Erde zugeschüttet haben. Das klingt kurz, ist aber das Limit für solch einen Kontrollverlust. Wenn alles gutgeht, hat er danach seinen Spaß gehabt - und wir sind ihn los.«
    Ich zitterte und schwitzte. Meine Haut fühlte sich kalt an, und im Mund hatte ich einen galligen Geschmack. Ich fühlte, wie sich Panik in mir breitmachte, und griff nach Gemmas Hand. Sie erklärte mir alles noch einmal: die Kiste, den Ring, das Drahtgeflecht, die Erde, Augen zu, Ohren zu, fünf Minuten, sein Atem, seine Zunge. Ich krallte meine Fingernägel so fest in Gemmas Hand, dass es ihr wehtun musste. Dann nickte ich.
     
    »Please could you stay a while to share my grief / For it’s such a lovely day / To have to always feel this way / And
the time that I will suffer less / Is when I never have to wake.«
    »Wandering Stars« von Portishead lief im Radio mit dieser sexy selbstmörderischen Melodie, als Gemma mir die Ohren mit einer Art Knetgummi verschloss. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass es so ein Schock sein würde, wenn die Geräusche plötzlich wie abgeschnitten schienen. Man kennt das Gefühl unter Wasser oder bei einer Mittelohrentzündung, aber so komplett von der Außenwelt abgeschnitten zu sein, von einem Moment auf den anderen, ist etwas ganz anderes.
    Ich zog mich aus und betrat mit Gemma den Raum, in dem das Becken mit der Kiste stand. Sie ging mit mir näher ran und hielt dabei die ganze Zeit Körperkontakt. Sie stand immer so, dass wir uns ansehen konnten. Dann fragte sie mich mit den vereinbarten Handzeichen ein letztes Mal, ob ich es wirklich tun wollte. Ich gab mein Okay. Sie fesselte mir die Hände auf dem Rücken und verknotete die Augenbinde hinter dem Kopf. Eine Weile stand sie hinter mir, hielt mich fest umschlungen, und ich konnte ihren Atem auf meinem Rücken fühlen, warm und gleichmäßig. Ich versuchte, mich dem ruhigen Rhythmus anzupassen, und als mein Zittern nachließ, führte sie mich zwei Schritte vorwärts. Ich spürte den Boden der Kiste unter meinen Füßen. Auch der Moment, als die Tür hinter mir geschlossen wurde, erzeugte ein merkwürdiges

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