Voellig durchgeknallt
Die wissen gar nicht, wer’s war. Ich brauche einfach nur cool zu bleiben.
»Komm mal mit raus«, kommandiert Tarnkappe.
»Nimm deine Sachen gleich mit«, setzt Bullen-Polly hinzu.
Auweia.
»Ich sitze hier im Unterricht!«, protestiere ich. »Wenn ich nicht hingehe, holen Sie mich zu Hause ab und bringen mich her, und wenn ich mal da bin, scheuchen Sie mich wieder raus. Kein Wunder, dass die Jugend von heute so orientierungslos ist.«
Ich riskiere eine große Lippe, aber in Wirklichkeit mache ich mir fast in die Hosen. Ich stopfe meine Sachen in die Schultasche und falte mein Arbeitsblatt umständlich Ecke auf Ecke zusammen. Wenn nun Oma was zugestoßen ist? Oder Mum? Oder womöglich meinem großen Bruder Stephen? Er arbeitet in Aberdeen auf einem Fischerboot. Vielleicht ist er von Deck gefallen und ertrunken.
|75| »Wird’s bald!«, sagt Tarnkappe.
Nein, so würde er nicht mit mir reden, wenn er eine schlechte Nachricht zu überbringen hätte.
Wenigstens ein Mal ist es mucksmäuschenstill in der Klasse.
»Hat mich gefreut, eure Bekanntschaft zu machen«, verabschiede ich mich ironisch und werde von den Bullen abgeführt.
»Was soll …?«
»Klappe«, sagt Tarnkappe.
Ich kann die Klappe trotzdem noch nicht halten, obwohl es bestimmt klüger wäre.
»Hi, Süße«, quatsche ich Polly an. »Hast du am Wochenende mal Zeit?« Sie sieht mich an. Sie ist ziemlich klein, aber knallhart.
»Lass das lieber, Chas«, sagt sie.
Ich will grade eine flapsige Antwort geben, aber dann lasse ich es doch lieber. Ich werde den Schulflur entlanggeführt. Durch die Glastüren kriege ich mit, wie die ganzen anderen Kids drinnen Scheiße bauen und die Lehrer fertigmachen. Ich sehe sogar Lexi Juby und die hässliche Debs, die beiden haben grade Geschichte. Lexi schläft anscheinend, sie hat den Kopf auf die Hand gestützt.
Sie sieht hübsch aus, wenn sie schläft.
Auf dem Parkplatz baut sich Tarnkappe vor mir auf.
»Chas Parsons, wir verhaften dich wegen Autodiebstahls und Sachbeschädigung. Du hast das Recht, die Aussage zu verweigern …«
Ich sehe lauter Schüler aufgereiht an den Fenstern ihrer |76| Klassenzimmer stehen. Ich winke ihnen zu wie Elvis persönlich und höre sie johlen. Aber dann verfrachtet mich Tarnkappe auf den Rücksitz des Streifenwagens.
Diesmal schmeißt mich Oma bestimmt raus.
»Habt ihr was zu essen?«, frage ich, einfach so. Nach meiner Erfahrung haben die meisten Bullen bergeweise Schokolade und Chips im Auto. Bullen hängen viel rum. Du weißt doch, was die alten Mütterchen immer sagen: »Warum ist die Polizei nie da, wenn man sie mal braucht?« Tja, das liegt nicht daran, dass die Polizei aus Geldmangel zu wenig Leute einstellt oder so, sondern daran, dass die Beamten alle in ihren bequemen klimatisierten Autos rumhocken und Süßkram futtern. Was glaubst du, warum die so hyperaktiv sind?
Aber Tarnkappe rückt nichts raus. Er fährt einen Schlenker, um einem Supermarktlieferwagen auszuweichen.
»Soll ich vielleicht fahren?«, biete ich ihm an. »Sieht aus, als könnten Sie eine Ablösung gebrauchen.« Trotz meiner frechen Sprüche hab ich tierisch Schiss. »Was soll das Ganze eigentlich?«, erkundige ich mich unschuldig. Mein Finger tut weh. Ich hab unterm Verband dran rumgepult.
»Das wüssten wir gern von dir.« Die kleine Polly dreht sich um und sieht mich an. »Du hast dich so gut gemacht, Chas, und jetzt hast du wieder alles vermasselt. Ein Lastwagen! Was ist bloß in dich gefahren?«
Daraufhin mache ich von meinem Recht Gebrauch, die Aussage zu verweigern.
|77| ZWEITER TEIL
|79| Sechs
Ich kriege ein Zimmer mit Meerblick. Durch das Sicherheitsglas in meinem Zellenfenster sehe ich die Wellen an den Kiesstrand schlagen.
Es ist eine Woche später, ich bin in einer Einrichtung für jugendliche Straftäter und sitze in Untersuchungshaft. In der richtigen Jugendstrafanstalt war kein Platz, da bin ich hier gelandet. Niemand hat mir gesagt, was mit Devil ist. Er ist nicht vor dem Jugendgericht erschienen, also kann so ziemlich alles passiert sein. Ich glaube, dass ich lange hier bleiben muss, denn man hat mir keinen Verhandlungstermin genannt, und Oma weigert sich, die Kohle für die Kaution rauszurücken. Seit meiner Festnahme hat sie nicht mehr mit mir gesprochen und ist auch nicht zur Anhörung gekommen. Ich habe mit Mum telefoniert, und die sagt, Oma steckt sich die Finger in die Ohren, wenn mein Name fällt. Oma kann es nicht ab, wenn ich in Schwierigkeiten bin. Sie
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