Voellig durchgeknallt
da. Ich atme auf.
|179| Es ist Freitag, rufe ich mir in Erinnerung, freitags ist Juby nie zu Hause. Also immer mit der Ruhe. Offen gestanden macht mir die Vorstellung, dass ich meinen Finger womöglich nicht finde, mehr Bauchschmerzen. Ich darf nicht vergessen, auf dem Sims draußen vor Devils Fenster nachzusehen. Bestimmt müffelt der Finger inzwischen. Komische Vorstellung, dass ein Körperteil von mir schon am Verwesen ist. Scheiß-Devil. Wenn er nicht mit meinem Finger abgehauen wäre, hätte eine sexy Krankenschwester ihn mir bestimmt wieder angenäht. Devil ist selber schuld, dass ich bei ihm einbrechen muss.
Ich hebe die Verandafliese an und taste nach dem Schlüssel. Meine verbliebenen Finger streifen kaltes Metall. Ich hab ihn. Vorsichtig schließe ich die Tür auf und trete in die Küche. Mein Rucksack bleibt irgendwo am Türrahmen hängen und ich reiße mich los. Den Schlüssel lasse ich draußen stecken. Dann sieht es aus, als ob jemand beim Weggehen einfach vergessen hat, ihn unter die Fliese zu legen. Ich rede mir ein, dass es auf die Art nicht so verdächtig wirkt. Die Jubys haben knallgelbes Linoleum auf dem Fußboden und gelbe Schränke. Die Küche sieht sogar noch schlimmer aus als die von Oma. Ein Teller, an dem noch die Reste von Jubys Frühstück kleben – zusammengeringelte Speckrinden und eingetrocknete Bohnen – steht in der Spüle. In der Wand ist eine Delle, wo der Verputz abgebröckelt ist. In Fausthöhe. Was mir wieder in Erinnerung ruft, dass ich mich ranhalten muss. Nur für alle Fälle sehe ich mich noch kurz im Erdgeschoss um. Wohnzimmer: leer. Unteres Klo: leer.
|180| Ich gehe nach oben.
Devils Zimmer ist ein guter Ausgangspunkt. Ich gehe den Flur entlang zu seiner Tür. Es kommt mir komisch vor, sie aufzumachen. Schließlich ist es das Zimmer von meinem Kumpel. Ich komme mir wie ein Dieb vor und ich mag Devil nicht beklauen. Aber ich hole mir ja nur etwas wieder, was sowieso mir gehört.
Devil war noch nie besonders ordentlich, aber heute sieht sein Zimmer aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Sämtliche Klamotten sind aus den Schubladen gezogen, die Matratze hängt halb aus dem Bett und ein Vorhang ist runtergerissen. Der Papierkorb ist ausgekippt, der Boden liegt voller Chipstüten und Kekspackungen. Ein Riesensaustall. Ehrlich gesagt sieht es aus, als hätte hier schon jemand eingebrochen. Mir fällt ein, wie Oma mein Zimmer aufgeräumt hat, während ich im Bau war. Bei Devil kümmert sich niemand um so was. Ich hebe die Lampe auf und räume auf dem Nachttisch ein bisschen Platz frei. Die Lampe sieht wie die Faust vom
Unglaublichen Hulk
aus, Devil hat sie vor Jahren zum Geburtstag bekommen. Ich weiß noch, dass ich damals auch eine
Unglaublicher-Hulk -Phase
hatte und voll neidisch war. Sogar jetzt hätte ich noch gern so eine Lampe. Aber ich beklaue meine Freunde nicht. Ich will die Lampe anknipsen, doch die Birne ist durchgebrannt.
Als ich die Klamotten auf dem Boden durchwühle, kriege ich einen Tatterich. Das kommt vom vielen Koffein, aber ich musste mir eine Dröhnung verpassen, damit ich das hier durchstehe. Ich mache den Schrank auf. Ist nicht viel drin, |181| bloß Zeitschriften und Computerspiele. Kein Finger. Ich schaue draußen auf dem Fenstersims nach – nichts. Ich stöbere unter dem Bett, unter der Matratze. Ich gucke hinter den Stapel Zeitschriften und Comichefte. Ich untersuche sogar den Teppich, aber der ist fest verlegt. Ich stelle mich auf den Stuhl und spähe auf den Lampenschirm. Dann schaue ich unter den Stuhl, vielleicht hat Devil den Finger ja unter den Sitz geklebt. Nein. Das kluge Kerlchen hat sich ein besseres Versteck ausgedacht. Allmählich werde ich unruhig. Soll ich lieber wieder verschwinden? Eigentlich sollte die Angelegenheit ruckzuck über die Bühne gehen. Ich will nicht mehr hier sein, wenn Lexi heimkommt.
Ich schaue unter der Kommode nach und betaste die Vorhangsäume, falls Devil den Finger eingenäht hat. Ich nehme den Plastikeinsatz des Mülleimers raus und greife dahinter. Kein Finger. Ich fahre mit der Hand über die Tapete, ob es irgendwelche Unebenheiten gibt.
Es macht mir keinen Spaß, in den Sachen von meinem Freund rumzustöbern. Ich gebe mir Mühe, sie mir nicht anzusehen, wenn du verstehst, was ich meine. Ich will gar nicht wissen, dass er acht kaputte Armbanduhren besitzt und ein Foto von einer unserer Nachbarinnen, wie sie im Garten schläft. Die Muschelsammlung im Marmeladenglas hätte ich lieber nicht entdeckt. So
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