Voellig durchgeknallt
letzte muss |260| irgendwo anders sein. Wenn Lexi etwas damit anfangen kann, dann nur zu. Ich überlege solange, an wen sie mich erinnert. Draußen auf dem Flur hüstelt jemand und da fällt es mir ein. Wenn sie mich so rumkommandiert, erinnert mich Lexi Juby total an meine liebe Oma.
»Ich zisch besser wieder ab. Seit Devlin verschwunden ist, macht Dad noch mehr Theater, wenn ich zu lange wegbleibe. Die hier muss ich mir leider ausborgen.« Sie stopft die Briefe in ihre Tasche und sieht mich an. »Wenn ich du wär, würde ich schon mal ’nen Übernachtungsrucksack packen. Die Polizei ist bestimmt bald hier und ich wette, du bist für die der Hauptverdächtige.«
Lexi findet allein raus. Ich gehe ans Fenster auf dem Treppenabsatz und sehe ihr nach, wie sie durch den Vorgarten und dann die Straße runter läuft. Klar freu ich mich riesig, dass sie hergekommen ist und mich gewarnt hat, aber ich weiß nicht, was ich jetzt machen soll. Ich will nicht Däumchen drehen, bis die Bullen vor der Tür stehen. Wenn die nun überzeugt sind, dass ich der Schuldige bin? Wenn sie mich wieder in U-Haft stecken? Mich wieder nach Bevanport schicken? Das wäre echt mein Tod.
Ich gehe in meinem Zimmer auf und ab und überlege, was zum Teufel ich tun soll, als ich draußen eine Sirene kommen höre. Mir ist zwar klar, dass es bloß ein Krankenwagen ist, aber ich drehe trotzdem durch. Ich muss weg. Sofort. Ich darf keine Sekunde länger hierbleiben. Ich warte nicht drauf, dass mich die Vergangenheit einholt. Wenn Devil untertauchen kann, kann ich das auch. Dann |261| verpasse ich zwar die zweite Matheprüfung, aber alles ist besser, als wieder in den Knast zu müssen. Ich krame unter dem Bett nach meinem Rucksack und stecke ein paar T-Shirts und Socken ein. Dann packe ich mein Handy, eine Taschenlampe, alles Bargeld, das ich finden kann (ungefähr zehn Pfund) und meine Mütze obendrauf. Ich bin ganz zittrig. Ich muss die ganze Zeit an meine Zelle in Bevanport denken, an das kaputte Klo, die widerliche Matratze und die getünchten Ziegelwände, die ich stundenlang angestarrt habe. Auf keinen Fall gehe ich dorthin zurück! Unten plündere ich den Küchenschrank und stecke so viele Kekspackungen, Knabberzeugs, Cola und Nüsse ein, wie noch in den Rucksack passen.
»Was hast du vor?«, fragt Oma, die in die Küche geplatzt kommt.
»Nachher, Oma.« Ich beuge mich runter und gebe ihr einen Kuss. Ich weiß nicht, wann ich sie wiedersehe, vielleicht morgen, vielleicht nie mehr.
»Mach mir keinen Kummer, denk an mein schwaches Herz, Chas«, ruft sie, als ich zur Tür rausrenne.
Ich drehe mich um.
»Du hast doch gar kein Herz, Oma, oder?« Und weg bin ich, durch den Vorgarten und zum Tor raus. Ich biege nach rechts ab, da muss ich nicht durch die Hauptstraße unserer Siedlung. Ich bin schon fast am Ende unserer Straße, da sehe ich etwas aus dem Augenwinkel. Ich ducke mich hinter ein Auto und drehe mich nach unserem Haus um. Eben hält ein Streifenwagen vor unserer Tür. Scheiße! Ich husche geduckt hinter den geparkten Autos lang, bis |262| eine Nebenstraße kommt, dann renne ich wieder los. Ich glaube nicht, dass mich die Bullen gesehen haben. Ich komme an ein paar Jugendlichen vorbei, die ich vom Sehen kenne, aber ich bleibe nicht stehen. Ich bin jetzt ganz auf mich gestellt. Es ist ein warmer, windiger Abend. Das T-Shirt klebt mir am Leib. Ich platze vor Tatendrang. Ich kann überallhin, kann machen, was ich will! So hat sich Stephen bestimmt auch gefühlt, als er nach Schottland abgehauen ist. Ich könnte zum Beispiel hintrampen und ihn suchen. Oder ich könnte mich bis ans Meer durchschlagen. Vielleicht nimmt mich ja irgendwer auf die Autofähre nach Irland mit, dort könnte ich mich für älter ausgeben und irgendwas arbeiten. Aber was ist dann mit Lexi? Wo die Straße aufhört, bleibe ich stehen. In die eine Richtung geht’s ins Zentrum unserer Siedlung, zu den Läden, zur Bushaltestelle, zur Straße in die Stadt, in die andere Richtung kommt man eher durch Wohnstraßen und zum Kanal.
Schließlich lande ich in der Schrebergartenkolonie, in Michaels Laube.
|263| Zweiundzwanzig
Michael versteckt den Schlüssel immer unter einem Blumentopf. Ich hab ihm schon gesagt, das ist ein blöder Platz, aber er meint, wenn jemand in seine Laube eindringen will, braucht er sowieso keinen Schlüssel, man kann ganz leicht einbrechen.
Die Laube ist mit Gartengeräten und Kompostsäcken vollgestopft. Außerdem gibt es einen Liegestuhl, einen
Weitere Kostenlose Bücher