Vogel-Scheuche
sechs Beinen. Die Beine waren zu kurz, um ordentliche Geschwindigkeiten zu entwickeln, weshalb er eben wompte: Er hob den vorderen Teil seines Körpers, schleuderte ihn nach vorn, setzte damit auf und zog den Rest des Körpers in einem Bogen hinterher. Das sah zwar umständlich aus, brachte ihn aber schnell ans Ziel. Hatte der Drache es erst einmal darauf abgesehen, gab es kaum ein Tier, das ihm in der Spalte entkommen wäre. Und wen seine Zähne nicht erreichten, der ließ sich mit einem sengenden Dampfstrahl niederstr e cken. Tatsächlich war der Spaltendrache eine der gefürchtetsten Kreat u ren Xanths.
Nur wenige Leute fürchteten sich nicht vor ihm. Dazu gehörte natü r lich auch Metria, weil sie eine Dämonin war. Prinz Dolph zählte auch zu ihnen, weil er nach Belieben Drachengestalt annehmen konnte und weil er und Stanley Dampfer seit ihrer Kindheit miteinander befreundet w a ren.
Also ging sie im Schwebeflug in die Tiefe. »Hallo, Stanley!« rief sie.
Der Drache hielt inne, hob die Schnauze. Er stieß ein Dampfwölkchen aus.
»Nun mach mal keinen heißen Dampf«, sagte sie. »Ich bin es, Metria. Und Prinz Dolph.« Sie öffnete die Hand, worauf Dolph seine Me n schengestalt annahm und zu Boden sprang.
Stanley erkannte ihn. Dolph kam auf ihn zu und schlang die Arme um den Drachen. Sie wälzten sich umher, rangen miteinander, kitzelten sich gegenseitig. Es war eine Umarmung, wie sie sonst kaum jemand in Xanth gewagt hätte. Aber sie hatten eben ihre Kindheit miteinander geteilt, auch wenn es für Stanley die zweite gewesen war. Er war vor mehr als dreißig Jahren mehr oder weniger unfreiwillig als Folge eines kleinen Mißgeschicks verjüngt worden. Stanley hatte daraufhin die Position eines Haustiers von Prinzessin Ivy eingenommen, bis die Zeit für ihn geko m men war, wieder seine Aufgabe als Spaltenwächter anzutreten.
In Xanth gab es drei Grundtypen von Drachen:
Feueratmer, Raucher und Dampfer. Die Feuerdrachen wurden am mei s ten gefürchtet, tatsächlich aber waren die Raucher noch gefährlicher, weil sie mit ihrem Rauch andere blenden und ersticken konnten, vor allem an geschlossenen Orten. Die Dampfer kamen am seltensten vor, genossen aber stets Respekt.
Nachdem die beiden sich beruhigt hatten, streckte Metria die Marke aus. »Ich habe eine Vorladung für dich, Stanley«, verkündete sie. »Du sollst als Geschworener beim Prozeß gegen Roxanne Roc teilnehmen.«
Die Ohren des Drachen stellten sich verblüfft auf. Eins davon war kürzer als das andere; das stammte noch aus der Zeit, als Krach Oger ein Stück davon abgebissen hatte, was nicht einmal durch die Verjüngung rückgängig zu machen gewesen war. Die Schnauze nahm einen verwu n derten Ausdruck an.
Dolph gab sich die Gestalt eines kleinen Drachen und knurrte ihn an. Drachensprache war nicht gerade Metrias Stärke, doch sie wußte, daß Dolph ihm gerade die Situation in allen Einzelheiten schilderte.
Stanley antwortete knurrend. Dann nahm Dolph wieder Menscheng e stalt an. »Er sagt, er muß erst seine Familie fragen.«
Dagegen konnte Metria nichts sagen. »Gut, dann gehen wir sie fragen.«
Stanley führte sie zu einem tiefen Seitenausläufer der Hauptspalte. Dort fanden sie eine weitere ausgewachsene Drachin vor, ebenso einen Babydrachen. Davon hatte Metria überhaupt nichts gewußt. Ein Anflug von Neid überkam sie. Sogar Drachen wußten die Aufmerksamkeit des Storchs zu erregen, während ihr selbst dies versagt blieb. Aber das Baby war süß.
»Seine Partnerin, Stella Dampfer, und ihr Sohn, Steven Dampfer«, stellte Dolph vor, wobei er das Baby unterm Kinn kitzelte. Steven stieß etwas warme Luft aus, was man zwar noch nicht als wirklichen Hei ß dampf bezeichnen konnte, aber es wirkte immerhin vielversprechend.
»Stanley steht zwar auf meiner Vorladungsliste, aber ich weiß nicht, ob auch seine ganze Familie im Namenlosen Schloß willkommen wäre«, meinte Metria zweifelnd.
»Stella sagt, daß irgend jemand die Spalte bewachen muß«, verkündete Dolph. »Sie wechseln sich normalerweise ab, wobei derjenige, der gerade keine Schicht hat, sich um Steven kümmert. Wenn Stanley zum Prozeß kommen muß, wird er Steven mitnehmen müssen, weil Stella nicht gleichzeitig wompen und auf das Baby aufpassen kann.«
Metria überlegte. »Laß mich das Kleine mal sehen«, sagte sie schlie ß lich.
Dolph hob den kleinen Drachen auf und überreichte ihn der Däm o nin. Die nahm ihn entgegen, und die kleine Schnauze streichelte ihren Hals mit
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