Vogel-Scheuche
vorhaben mochte.
»Als erstes gehen wir die Sache mal in deiner Fassung durch«, sagte Mentia zu Threnodia. »Dazu benötigen wir Jordans Mitwirkung.«
Jordan zuckte zusammen. »Meine?«
»Du kanntest König Gromden doch, nicht wahr?«
»Ja. Ich lernte ihn kennen, kurz bevor er starb. Das war ein feiner alter Knabe.«
»Du wirst seine Rolle spielen.«
»Werde ich das? Ich weiß doch gar nicht, wie das geht.«
»Der Wahnsinn wird dich anleiten. Du mußt ihm einfach nur folgen.«
Jordan zuckte durchaus fasziniert die Schultern. »In Ordnung. Das ist spaßig, mal König zu sein.«
Mentia wandte sich an Threnodia. »Und du spielst die Rolle der Kön i gin. Du erinnerst dich doch noch an sie?«
»Ja«, bestätigte Threnodia angespannt.
»Und ich übernehme die Rolle der Dämonin.«
»Die dürftest du vorzüglich beherrschen«, warf Threnodia derart schneidend ein, daß Jordan zusammenzuckte, als hätte es ihn getroffen, obwohl sich die Bemerkung doch gar nicht gegen ihn richtete.
Mentia ignorierte die Spitze. »Vergesst nicht, daß wir allesamt die Wahrheit so wiedergeben müssen, wie wir sie sehen. Das heißt, erst ei n mal so, wie du sie siehst, und dann, wie ich sie sehe. Jeder von uns wird dem jeweiligen Szenario entsprechen.«
Threnodia musterte sie scharf. »Glaubst du wirklich, daß etwas dabei herauskommt?«
»Ja. Können wir fortfahren?«
Threnodia zuckte die Schultern.
»Dann werde ich jetzt einmal die Szene beschreiben«, sagte Mentia. »Wir befinden uns im Xanth des Jahres 657, auf dem Land in der Nähe von Schloß Roogna. Gromden ist seit vierunddreißig Jahren König. Er ist zwar verheiratet, doch seine Frau ist kalt. Es war eine politische Ehe. Er ist ein guter Mann…«
»Ein sehr guter Mann«, warf Threnodia ein.
»Aber fehlbar, wie sterbliche Männer es eben sind. Er ist sich der Ta t sache zwar noch nicht bewußt, doch in seinem Leben fehlt etwas. Nä m lich die Freude.« Während sie sprach, schlüpfte Jordan in die Rolle des Königs, und der Wahnsinn rückte näher und verlieh ihm die Merkmale desselben mittleren Alters, aufgedunsen, und doch voller Autorität.
»Eines Tages, als Gromden unterwegs war, um sein Königreich zu ü berprüfen, als er also in Erfahrung bringen wollte, wie es darum stand, indem er Steine und Pfosten und andere unwichtige Gegenstände b e rührte und mit Hilfe seines Talents sofort alles über sie in Erfahrung brachte, begegnete er auf dem Weg einer armseligen Vagabundin.«
Nun übernahm Metria ihre Rolle, während um sie herum die Szenerie des mittelalterlichen Xanths entstand. Sie wurde zu der armseligen Vag a bundin, bucklig und in einen schäbigen Umhang mit Kapuze gehüllt.
Mitten auf der Straße blieb der König stehen. In feinstes Tuch gekle i det, machte er im Vergleich zu der vor ihm befindlichen Kreatur einen unvorstellbar reichen Eindruck. »Kann ich dir helfen, gute Frau?« fragte er, denn jeder Hochmut war ihm fremd.
Die Gestalt musterte ihn matt und erkannte, mit wem sie es zu tun ha t te. »Ach, Euer Majestät, macht Euch keine Mühe mit mir«, sagte sie im Niederknien und senkte dabei den Kopf. »Ich bin nur eine arme Frau, die aus ihrem Dorf verstoßen wurde, dringend der Hilfe und des Schu t zes bedürftig, unwürdig, Euresgleichen zu behelligen.«
»Nun komm schon, komm schon meine Liebe«, erwiderte er großm ü tig. »Das möchte ich lieber selbst beurteilen. Was hast du denn für ein Problem?«
»O König, mein Vater suchte mich mit dem Dorfschläger zu vermä h len. Doch ehe ich diese Schande ertrug, denn ich bin klug und werde von manchen sogar für schön gehalten, floh ich von meinem ansonsten he r vorragenden Heim. Doch kein anderes Mitglied meiner Familie wollte mich aufnehmen oder mir Hilfe leisten, und so mußte ich auch gleich das Dorf verlassen. In den benachbarten Dörfern war es das gleiche. Niemand respektiert ein störrisches Kind. Nun bin ich eine Fremde, weit weg von zu Hause, die nicht zurückzukehren wagt und schlimm ermattet und fußmüde von der Reise ist, wie auch von der Nahrungssuche auf dem freien Land. Ich wünsche mir nur noch einen erträglichen Ort zum Leben und daß ich im Laufe der Zeit einen guten Mann finde, den ich heiraten kann, doch in sämtlichen Dörfern sind es stets nur die Tunich t gute, die mir nachstellen.«
»Du armes Mädchen«, sagte der König mitfühlend. »Laß mich dich g e nauer betrachten.« Er strich ihre Kapuze zurück, und siehe da! Sie hatte schwarzes Haar und dunkle Augen
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