Vogel-Scheuche
und feingeschwungene Gesichtszüge, eine wunderschöne junge Frau. Er betrachtete ihren Leib und erkannte nun, daß unter dem groben Tuch der Stoff verborgen war, der einen Mann in den Wahnsinn zu treiben vermochte: Jede ihrer Kurven und Spitzen riefen in seiner Einbildung das Bild von Störchen wach, die ihre Schwingen ausbreiteten, es geschah wie auf Befehl. Tatsächlich war dies die schönste Kreatur, die er je gesehen hatte. Und in diesem Augenblick lag der Keim zu seinem Unheil.
Sie hob die großen Augen, um ihm kurz ins Gesicht zu blicken, dann senkte sie wieder keusch den Kopf. »Ach, König, ich bin doch Eurer Aufmerksamkeit nicht würdig. Ich will mich daher fortscheren, vielleicht um in jenem Feld dort drüben nach etwas Eßbarem zu suchen. Verzeiht, daß ich Euer Auge mit meinem Anblick beleidigte.«
Doch der König erwies sich als großmütig. »Das ist schon in Ordnung, meine Liebe. Gar nicht nötig, zu dem Feld hinüberzugehen. Wäre doch eine Schande, mitansehen zu müssen, wie du gezwungen wirst, einen Tölpel zu heiraten. Fern sei es von mir, auch nur den Geringsten meiner Untertanen in schlimmer Not zu wissen. Nahe beim nächsten Dorf b e findet sich ein königliches Rasthaus, das zur Zeit unbewohnt ist. Ich werde dich dort unterbringen, bis wir etwas Besseres für dich gefunden haben.«
Tränen der Dankbarkeit quollen aus vollkommenen Augen hervor. »Ach, wie soll ich Euch diese Güte jemals entlohnen, Euer Majestät? Nicht einmal in meinen heftigsten und törichtsten Träumen hätte ich mir vorstellen können, daß derlei einst geschehen würde.«
»Papperlapapp, genug davon«, erwiderte er und faßte sie an einem za r ten Ellenbogen, um sie zum Rasthaus zu führen. Das befand sich an einem geschützten Flecken, gerade außer Sichtweite des Wegs, und stel l te eine gute Wahl dar, da es für gewöhnlich von einem kleinen Trupp der königlichen Wache bewohnt wurde. Doch im Laufe des letzten Jahrhu n derts war der Bedarf dafür geschwunden, vielleicht hatte das Königtum aber auch an Macht eingebüßt. Gromden war eher ein gütiger als ein herrischer Mann, und er hatte wenig Verwendung für Wachen oder ü berhaupt für Gewalt. Das Rasthaus stellte also ein Relikt autoritärerer Zeiten dar. »Mach es dir hier gemütlich, ich werde nächste Woche vo r beikommen, um mich davon zu überzeugen, daß es dir gutgeht.« Er wandte sich zum Gehen.
»Ach, verlaßt mich doch nicht schon so bald!« flehte sie und berührte ihn am Arm, um ihn zur Rückkehr zu bewegen. Sie atmete tief durch, während sie ihren Umhang abstreifte, so daß der Busen heftig wogte. »Ich habe Euch doch noch gar nicht für Eure außerordentliche Güte gedankt.«
»Die bedarf keines Danks«, winkte er großmütig ab. »Ich will schon z u frieden sein, daß ich dir habe helfen können.«
»Ach, Gebieter, du hast doch so viel für mich getan«, warf sie ein. »Wenn ich so frei sein darf…« Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und küßte ihn mit überraschender Festigkeit auf den Mund.
Der König taumelte, als hätte man ihm eins übergebraten – was in g e wisser Weise ja auch stimmte. Noch nie war er einem Wesen begegnet, daß es an Lieblichkeit und Überzeugungskraft mit diesem auch nur a n nähernd hätte aufnehmen können. Dieses Mädchen schien zwar noch in jugendlichem Alter zu sein, und doch hatte es etwas betörend Reifes an sich.
»Oh, König, schwindelt Euch etwa?« fragte sie besorgt. »So kommt und legt Euch für einen Augenblick auf diesem Bett nieder, dann will ich alles für Euch tun, um Euch zu helfen. Niemals würde ich Euch wissen t lich schaden.«
Dem König Gromden schwindelte tatsächlich, doch nicht etwa, weil es ihm an geistigen oder körperlichen Kräften gebrach. Ihr Kuß war ei n fach nur so lieblich gewesen, daß er in ihm alle möglichen Vorstellungen auslöste, die er sich zuvor in seinem Leben versagt hatte. So ließ er sich denn zum Lager führen und streckte sich aus, während seine neu en t deckten Phantasien einen Kreistanz um seinen Verstand vollführten.
»Vielleicht sind Euer Majestät Kleider doch eine Spur zu eng«, sagte sie und löste erst seinen Kragen, um ihm schließlich das Hemd zu öffnen.
»Ach, nein, das ist doch nicht nötig…«, protestierte er matt.
Doch sie fuhr fort, und irgendwie fand er sich plötzlich mit ihr unter einer Bettdecke wieder, und sie trug ebensowenig am Leib wie er selbst. Dann nahm der Storch tatsächlich davon Notiz, denn schon bald wurde ein Signal
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