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Vogelfrei

Titel: Vogelfrei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julianne Lee
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schon seit Monaten graute. Verglichen mit dem ihm bevorstehenden Gespräch 'mit Iain war der Messerkampf ein Kinderspiel gewesen.
    Iain Mór unterhielt im ersten Stock des Nordturms eine Art Büro, wo er seine geschäftlichen Angelegenheiten abwickelte und die Unterlagen aufbewahrte, die die Verwaltung seiner Ländereien betrafen. Der Laird forderte ihn schroff auf einzutreten, und Dylan gehorchte, wobei er sich bemühte, so ruhig und unbeteiligt wie möglich zu wirken. Jetzt kamen ihm seine Studien über östliche Kampftechniken zugute. Er hatte sein zerrissenes, blutverschmiertes Hemd gegen das bestickte getauscht, das Cait ihm geschenkt hatte. Zum Zeichen seines guten Willens trug er keine Waffen.
    Iain, der zu Dylans Entsetzen immer noch vor Zorn zu kochen schien, saß in einem großen, gepolsterten Stuhl über einen mit Papieren übersäten Tisch gebeugt und schien eingehend mit dem Abfassen eines Briefes beschäftigt zu sein; er nahm Dylans Gegenwart überhaupt nicht zur Kenntnis. Neben dem Tintenfass, in das er immer wieder seine Feder tauchte, stand eine mit unzähligen Schreibfedern gefüllte Schachtel. Einige Federn waren abgenutzt und tintenverschmiert, andere noch funkelnagelneu. An den Wänden zogen sich hohe Bücherregale entlang, darin stapelten sich ledergebundene dicke Bände und große, abgewetzte Kontobücher.
    Aus den Augenwinkeln heraus sah Dylan, dass sich im Schatten etwas bewegte. Malcolm saß mit dem Rücken gegen die Wand gelehnt hinter dem Schreibtisch auf einem steinernen Sims. Dylan nahm keine Notiz von ihm und beschloss, erst einmal abzuwarten, wie sich die Dinge entwickelten. Er blickte sich neugierig um, während Iain sich weiter mit seinen Papieren befasste.
    Er befand sich in dem bei weitem am luxuriösesten eingerichteten Raum, den er bislang in der Burg gesehen hatte. Ganz offensichtlich sollten die Besucher beeindruckt werden, mit denen Iain Geschäfte zu tätigen gedächte. Vor einer Vitrine mit Weinkrügen standen mehrere gepolsterte Stühle. Dylan nahm an, dass der Wein vom Kontinent stammte, vermutlich aus Frankreich. Dann fiel sein Blick auf ein Schwert, das hinter Iains Schreibtisch an der Wand hing, und er hielt unwillkürlich den Atem an.
    Es war ein mächtiges Breitschwert mit silbern schimmerndem Heft und polierter Stahlklinge. Auf den ersten Blick ordnete er es dem frühen siebzehnten oder späten sechzehnten Jahrhundert zu. Es hatte jedoch nicht den damals üblichen Korbgriff, sondern sein Heft ähnelte eher dem eines Rapiers. Sehr ungewöhnlich, aber auch sehr schön. Genau so ein Meisterstück der Handwerkskunst hatte er sich immer für seine Sammlung gewünscht, und nun sah er es tatsächlich vor sich. Er musste sich geradezu zwingen, den Blick davon loszureißen, um sich weiter umzuschauen.
    An einer Wand hing ein riesiger Gobelin, der eine Waldszene zeigte. Ein weißes Einhorn galoppierte inmitten dunkler, knorriger Bäume einher. Darauf saß ein Mann, der so groß und kräftig war, dass sich sein Reittier dagegen geradezu zwergenhaft ausnahm. Er hatte einen roten Bart, wehendes rotes Haar und entsprach ziemlich genau Sinanns Beschreibung von Donnchadh Matheson. In einer Hand hielt er ein Schwert, in der anderen eine weiße Rose. Sein Plaid flatterte hinter ihm her wie eine Hochlandfahne.
    Doch Dylans Aufmerksamkeit wurde von der kleinen Gestalt gefesselt, die über dem Mann schwebte und die dieser unverwandt ansah. Es war eine Fee, deren weißes Gewand im Dunkeln schimmerte. Als er genauer hinsah, zuckte er vor Überraschung zusammen, denn bei der Fee handelte es sich um niemand anderen als um Sinann, daran bestand kein Zweifel; er konnte sogar ihre Gesichtszüge deutlich erkennen.
    Dylan drehte sich zu Iain um und deutete auf den Mann auf dem Einhorn. »Das ist doch dein Vater, Donnchadh Matheson, nicht wahr?«
    Iain konnte sein Erstaunen nicht verbergen, seine Augen wurden groß. »Wie kommst du denn darauf?«
    Dylan zuckte mit den Achseln. Er hatte nicht vor, dem Laird von Sinann zu erzählen. »Eine bloße Vermutung. Der Barde hat ihn und die weiße Fee einmal erwähnt.« Das war eine glatte Lüge, aber woher sollte lain das wissen? »Wer hat diesen Gobelin angefertigt?«
    Iain senkte den Kopf. »Er ist ein Geschenk der Feen. Am Tag, an dem mein Vater begraben wurde, tauchte er plötzlich dort an der Wand auf. Ich habe nicht gewagt, ihn abzunehmen.«
    Dylan starrte Sinanns Bild an, und vor seinen Augen drehte sich die Figur um und winkte ihm zu. Er

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