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Vogelfrei

Titel: Vogelfrei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julianne Lee
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damit sie nicht mit der Wunde in Berührung kam.
    Er erhielt dieselbe Verpflegung wie die Soldaten, nur fielen seine Rationen weitaus spärlicher aus. Am fünften Tag war ihm schwindelig vor Hunger, und jeder Schritt seines Pferdes jagte einen sengenden Schmerz durch sein Bein. So war er geradezu erleichtert, als sie ihr Ziel erreichten: das steinerne Fort, das den Engländern als Hauptquartier in Schottland diente.
    Die kleine Garnison lag am Ufer eines schmalen Sees. Vor den Toren war ein kleines, aus Holzhäusern und Torfhütten bestehendes Dorf entstanden, dahinter ragten Granitberge auf. Dylan wurde durch einen steinernen Torbogen in den äußeren Hof und weiter durch ein schmales Tor auf den inneren Exerzierplatz geführt. Zu beiden Seiten erstreckten sich niedrige hölzerne Baracken, und direkt vor ihm befand sich ein größeres, stabileres Steingebäude.
    Überall wimmelte es von Rotröcken, die Dylan in seinem halb benommenen Zustand an geschäftig herumwuselnde blutrote Küchenschaben erinnerten. Sein Blick trübte sich, und in seinem Kopf begann es zu hämmern. Wieder dachte er über eine mögliche Infektion nach, was zur Folge hatte, dass er sich nur noch elender fühlte.
    Der blonde Captain sprang von seinem Pferd. Er schien bester Laune zu sein und gab Befehl, Dylan in eine Zelle zu bringen, während er selbst sich beim Befehlshaber des Forts melden ließ. Ein junger Soldat in einem viel zu großen roten Rock führte die Pferde zu den Ställen, derweil eilte Bedford auf das Gebäude an der Südseite des Platzes zu.
    Dylan wurde aus dem Sattel gezerrt; wiederum gab sein linkes Bein unter ihm nach, und das rechte begann zu zittern, als er sein ganzes Gewicht darauf verlagerte. Einer seiner Wächter stützte ihn und schleifte ihn fast zu dem Haus hinüber, in dem Bedford verschwunden war. Dylan hielt es für ein Verwaltungsgebäude. Doch statt ihn zum Haupteingang zu bringen, zogen die Dragoner ihn um die Ecke und zu einer schmalen Lücke zwischen diesem und dem Nachbargebäude hinüber, wo steinerne Stufen zu den Verliesen hinunterführten. Die beiden Soldaten gingen ziemlich unsanft mit ihm um und sparten nicht mit abfälligen Bemerkungen über »verdammte, stinkende, mordlustige, heidnische Schottenschweine<.
    In dem keilförmigen Spalt zwischen den Häusern stand ein kleiner, auf seine Deichsel gestützter zweirädriger Wagen, in dem etwas lag, was Dylan für ein Bündel Lumpen hielt. Aber bei näherem Hinsehen erkannte er, dass es sich um Leichen handelte, die teilweise noch mit vor Blut und Schmutz starrenden Leinenhemden bekleidet waren. Schwärme von Fliegen krabbelten über die gespenstisch bleichen, aufgedunsenen Gesichter. Dylan kam es so vor, als seien einige der Leichname grauenvoll verstümmelt worden. Er wollte den Blick abwenden, brachte es jedoch nicht fertig, sondern starrte das grässliche Bild wie gebannt an.
    Am Fuß der Treppe, unterhalb der Armeediensträume, lag ein enges, feuchtes Kellergeschoss; hier war der Modergeruch des Sees noch stärker, und dazu kamen der Gestank menschlicher Exkremente und verrottenden Fleisches. Schwere eisenbeschlagene Holztüren säumten den kurzen, von zwei hölzernen Stützpfeilern getragenen Gang; der wachhabende Soldat schloss eine davon mit einem großen Schlüssel auf.
    Die Zelle war klein und düster, Licht drang nur durch ein einziges vergittertes Fenster herein, das sich über die gesamte Länge des winzigen Raumes erstreckte. Der steinerne Fußboden war feucht und schmierig und mit einer langen Eisenstange versehen, an der mehrere Fußeisen befestigt waren. Die Dragoner ketteten Dylan mit beiden Füßen daran fest. Er humpelte auf dem rechten Bein vorwärts, so weit die Kette reichte, das linke wagte er nicht zu belasten. Der eine Dragoner, der mit einem grauenhaften Cockneyakzent sprach, beobachtete ihn grinsend und höhnte dann: »Dass du uns aber ja nicht wegläufst!«
    »Das würde mir im Traum nicht einfallen, dann würde ich ja dein dummes Gesicht nicht mehr sehen.« Dylan streckte die Hand aus, um den Soldaten in die Wange zu kneifen, aber dieser schlug sie grob zur Seite.
    »Verdammter Highlander!« Mit diesen Worten schlug er die Zellentür hinter sich zu, und im Raum wurde es noch dunkler.
    Dylan rutschte an der Mauer hinunter und kauerte sich auf den kalten, von einem dünnen Schmutzfilm überzogenen Boden nieder. Endlich war er allein. Oder zumindest dachte er, er wäre allein, denn als seine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt

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