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Vogelfrei

Titel: Vogelfrei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julianne Lee
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hatten, entdeckte er an der gegenüberliegenden Wand eine zusammengesunkene Gestalt. Dylan beobachtete sie eine Weile. Der Schatten rührte sich nicht, noch waren Atemzüge zu vernehmen. Auch aus dem Geruch konnte er keinerlei Rückschlüsse ziehen, denn die ganze Zelle stank nach Urin, Fäkalien, Erbrochenem und altem Blut, dazu kam der dumpfe Modergeruch, den die feuchten Steine verströmten. Er hätte einem verwesenden, von Würmern zerfressenen Leichnam gegenübersitzen können, ohne es zu merken. Doch je länger er die Gestalt betrachtete, desto unwahrscheinlicher erschien es ihm, dass noch Leben in ihr war. Er kniff die Augen zusammen und wünschte, Sinann wäre bei ihm.
    Kurz vor Sonnenuntergang kam ein Soldat in die Zelle und gab ihm eine Kelle voll Wasser, das er aus einem schmutzigen Holzeimer geschöpft hatte. Dylan trank gierig, war aber immer noch durstig, als der Rotrock ihm die Kelle entriss, sie wieder in den Eimer fallen ließ und die Zelle verließ. Dylan setzte sich wieder auf den Boden und wartete ab. Sobald es dunkel geworden war, kehrte im Fort Stille ein, und niemand kam mehr in die Nähe der Verliese. Am Morgen hatte er zuletzt etwas zu essen bekommen.
    Allmählich verflog der erste Schock über seine Verhaftung, und er konnte wieder klar denken. Er begriff, dass Flucht vorerst nicht infrage kam. Keine Kavallerie würde ihm zu Hilfe eilen, und es war äußerst unwahrscheinlich, dass die Engländer ihren Irrtum einsehen und ihn freilassen würden. Wieder einmal war er abrupt, ohne eigenes Verschulden aus seinem gewohnten Leben herausgerissen worden. Vielleicht war sein Leben ohnehin bald zu Ende.
    Die Dragoner hatten ihm seine Waffen und seinen sporran abgenommen, das Kruzifix und Caits Ring unter seinem Hemd jedoch übersehen. Natürlich würden sie beides über kurz oder lang entdecken, und dann würde er weder Kreuz noch Ring je wieder sehen. Dylan tastete unter seinem Hemd nach der Kordel und zog sie sich über den Kopf. Mit klammen Fingern nestelte er an dem Knoten herum. Schließlich gelang es ihm, ihn aufzuziehen, er löste den Ring von der Kordel, verknotete sie wieder und schob das Kruzifix unter sein Hemd zurück.
    Einen Moment lang betrachtete er den Ring, der im schwachen Licht schimmerte. Er würde nicht zulassen, dass das Schmuckstück den Engländern in die Hände fiel, Aber ihm wollte nur ein einziges sicheres Versteck einfallen. Er steckte den Ring in den Mund, um ihn anzufeuchten, dann beugte er sich vor, zog seinen Kilt hoch und schob ihn sich mit zusammengebissenen Zähnen in den After. Als er sich wieder aufrichtete, fühlte er sich ein wenig getröstet, denn nun hatte er wenigstens gute Aussichten, mit Caits Ring begraben zu werden. Er schlang sich sein Plaid um die Schultern, lehnte sich an die Wand und harrte der Dinge, die da kommen sollten.
    Immer wieder döste er ein und schrak vor Kälte zitternd wieder hoch. Die Gestalt am anderen Ende des Raumes regte sich nicht, und Dylan kam zu dem Schluss, dass das, was dort lag - was auch immer es sein mochte -, eindeutig tot war - falls es überhaupt je gelebt hatte. Einmal, als er erwachte, drang bläuliches Licht zum Fenster herein, und er wusste, dass ein neuer Tag anbrach. Wieder nickte er ein, und als er das nächste Mal aufwachte, schmerzten seine Knochen von der Kälte des feuchten Bodens, und er konnte sich kaum rühren.
    Kurz darauf betrat ein Soldat die Zelle und stellte ihm wortlos eine Schale mit dünnem Haferschleim hin. Dylan leerte sie gierig, ohne daran Anstoß zu nehmen, dass die Brühe wie Brackwasser schmeckte. Er war zu hungrig, um darauf zu achten, was er zu sich nahm. Der Soldat hatte ihn beim Essen allein gelassen, und als Dylan den letzten Tropfen aus der Schale geleckt hatte, stellte er sie auf den Boden und döste wieder ein. Schlaf war für ihn die einzige Möglichkeit, seine ausweglose Lage vorübergehend zu vergessen.
    Der Tag verstrich mit quälender Langsamkeit. Noch einmal erhielt er Wasser, dann kämpfte er sich mühsam auf die Füße und humpelte so weit von seinem Sitzplatz fort, wie seine Ketten es zuließen, um seine Blase zu erleichtern. Den Darm zu entleeren stand nicht zur Debatte, er hatte seit dem Aufbruch aus Ciorram so gut wie keine Nahrung zu sich genommen. Dann verbrachte er eine weitere unruhige Nacht. Am nächsten Morgen bekam er wieder eine Schale mit Haferschleim. Dylan verachtete sich selbst dafür, dass er die Mahlzeit so dankbar entgegennahm, aber trotzdem konnte er es sich

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