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Vogelfrei

Titel: Vogelfrei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julianne Lee
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schlüpfte aus seinen Schuhen, streifte dann seine schwarzroten Strümpfe ab und stopfte sie in die Schuhe, die er achtlos zu Boden fallen ließ. Dann löste er sein Plaid und nahm es ab. Er fühlte sich elend, starrte vor Schmutz und wünschte sich nichts sehnlicher, als nach Hause zurückkehren zu können. Seufzend löste er die Brosche vom Plaid und versteckte sie in einem Schuh, dann öffnete er seinen Gürtel und ließ die schwarzroten Stoffbahnen zu Boden gleiten. Nur noch mit seinem Hemd bekleidet, blies er die Kerze auf dem Fensterbrett aus, legte sich auf die mit einem weißen Leinentuch bedeckte Strohmatratze und zog ein zweites Tuch über sich.
    Auf einen Ellbogen gestützt, starrte er in das allmählich herunterbrennende Feuer und haderte mit seinem Schicksal. Was hatte er nur getan, um diesen Albtraum zu verdienen? Endlich streckte er sich auf seinem Lager aus und fiel in einen unruhigen Schlaf. Einer der Hunde knurrte leise im Dunkeln.

4.
    Im Morgengrauen wurde Dylan von Männerstimmen vor der Kammertür geweckt; rasch glitt er aus dem Bett und schlich barfuß auf die Tür zu. Der Holzboden war eiskalt, und Dylan begann in seinem dünnen Leinenhemd zu frösteln. Die Hunde waren auch bereits wach, begrüßten den neuen Tag mit eifrigem Schwanzwedeln und sahen aus, als würden sie Dylan freudig angrinsen. Dylan kauerte sich neben dem Kamin nieder; dort konnte er nur gesehen werden, wenn die Tür ganz aufgestoßen wurde. Kaltes Licht fiel durch die dicken welligen Glasscheiben in den Raum, und er rieb sich über die Arme, weil er eine Gänsehaut bekam.
    Die Tür flog auf, und er sprang zurück, da er auf einen Angriff gefasst war. Der rotblonde Halbwüchsige - Iain hatte ihn Artair genannt - betrat den Raum. Er war groß und schlank, aber nicht so hager und knorrig wie Malcolm, und strömte eine nahezu greifbare Energie aus. Wie fast alle Männer, die Dylan bislang gesehen hatte, trug auch er einen Vollbart, aber der war ziemlich dünn, eher leicht gewellt als lockig und schimmerte rötlich, sodass er in Verbindung mit der rosigen Haut aussah, als würde Artairs Gesicht an den Rändern ausfransen.
    Der blonde Coll stand hinter ihm und wirkte wie ein abgestumpfter Gefängniswärter; er war größer und ruhiger als Artair und bewegte sich langsamer. Seine leeren wässrig-blauen Augen schienen durch Dylan hindurchzublicken. Malcolm hatte gesagt, die beiden seien Iains Brüder.
    Artair musterte Dylan finster. Sein Blick blieb an den bloßen Knien unterhalb des Hemdsaums hängen. Dylan, der sich unbehaglich zu fühlen begann, verlagerte sein Ge-wicht von einem Bein auf das andere. »Was willst du?«, fragte er nicht eben freundlich.
    Artair schnaubte verächtlich. »Dasselbe wollte ich dich fragen. Ich nehme an, du hast Hunger.« Sein gleichgültiger Ton verriet, dass ihm Dylans Wohlergehen nicht sonderlich am Herzen lag, und Dylan zuckte mit den Achseln, obwohl sein Magen vernehmlich knurrte. »Aber vermutlich musst du vor dem Essen erst mal pissen«, fuhr Artair fort, »und wie du wohl gemerkt hast, gibt es in diesem Raum keinen Nachttopf.« Dylan hatte nur eine verschwommene Vorstellung davon, wozu ein Nachttopf dienen mochte, und er war nicht allzu unglücklich darüber, dass er keinen Drang verspürte, einen zu benutzen.
    Doch Artair schien gar keine Antwort zu erwarten. »Oben am Ende der Treppe findest du einen Abtritt. Geh die Brustwehr entlang bis zum Turm, da auf der rechten Seite liegt er. Wenn du fertig bist und es dir gelingt, den Weg zur großen Halle wieder zu finden, wartet dort dein Frühstück auf dich. Beeil dich also, sonst wird es kalt.«
    Dylan dankte ihm, doch Artair erwiderte nur kühl: »Wollte nur verhindern, dass du uns in die Ecken pisst. Dann verschwand er mit Coll, ohne die Tür hinter sich zu schließen. Ihre Schritte verhallten auf den steinernen Stufen, und Dylan hörte, wie sie sich leise auf Gälisch unterhielten.
    Das konnte ja heiter werden!
    Dylan legte seinen Kilt an und schlang den Gürtel um seine Taille. Während er sich ankleidete, bildete sich ein Kloß in seiner Kehle. Als er diesen Kilt das letzte Mal angezogen hatte, hätte er sich nie träumen lassen, dass er nur wenig später zu seinem einzigen - und dem einzig angemessenen - Kleidungsstück werden würde. Nur gut, dass er gestern keine Jeans getragen hatte.
    Die dunkle Nische vor der Schlafkammer war leer und kalt. Dylan stieg die Stufen empor, um sich nach dem »Abtritt umzusehen. Sofern dies ein Ort war, wo

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