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Vogelfrei

Titel: Vogelfrei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julianne Lee
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Dylan verfolgte den Vorgang so ungläubig, dass Malcolm sich zu einer Erklärung genötigt sah. »Das soll die Feen vom Haus fern halten, damit sie das Neugeborene nicht rauben und stattdessen einen Wechselbalg dalassen.«
    Dylan nickte. Nun, da er selbst gezwungen war, an die Existenz von Feen zu glauben, hielt er diese Vorsichtsmaßnahme für durchaus verständlich.
    Caitrionagh kam mit einem in Streifen geschnittenen Leinentuch zu ihm, um seine Hand zu verbinden; inzwischen war die Schwellung etwas zurückgegangen, und die Wunden schmerzten nicht mehr so stark. Als sie fertig war und ins Haus zurückging, sah er ihr versonnen nach und seufzte leise. Die Männer verstummten augenblicklich; die beiden MacKenzies und Sutherland blickten ihn durchdringend an, doch meinte er, einen Hauch von Verständnis in Malcolms Augen aufblitzen zu sehen. Rasch schlug er die Augen nieder und schalt sich einen Narren, weil er nicht auf der Hut gewesen war.
    Essen wurde gebracht: geröstetes, in Scheiben geschnittenes Haggis auf hölzernen Platten. Dylan war so hungrig, dass er seinen Ekel vergaß. Er probierte und entschied, dass Haggis durchaus genießbar war, wenn man sich nicht daran störte, dass man Teile eines Schafes verspeiste, die manch einer nicht einmal an seinen Hund verfüttert hätte. Aber es war schmackhaft gewürzt, heiß und sättigend und ließ sich gut mit Whisky hinunterspülen.
    Die Männer aßen, unterhielten sich, tranken mehr Whisky und unterhielten sich weiter. Die Sonne versank hinter den Bergen, weitere Platten mit Brot und Fleisch wurden gebracht, und noch immer fanden die Männer kein Ende. Dylan, schläfrig und leicht betrunken, gab seine Versuche auf, der gälischen Unterhaltung folgen zu wollen, lehnte sich mit dem Rücken gegen die Hauswand und döste ein. Gelegentlich schrak er hoch, doch dann drückte ihm immer jemand den Whiskykrug in die Hand, er trank noch einen Schluck, und irgendwann fielen ihm endgültig die Augen zu.
    Er hatte keine Ahnung, wann er wieder aufwachte, er wusste nur, dass es dunkel, sehr kalt und er ganz allein war. Er lag mit dem Gesicht nach unten auf dem Gras neben dem Haus, folglich musste er von seinem Stuhl gerutscht sein, ohne es zu merken; in seinem Haar klebten lauter Torfstückchen. Zuerst versuchte er, sein Plaid enger um sich zu wickeln und weiterzuschlafen, doch dazu war es zu kalt. Also rappelte er sich hoch, obwohl er sich kaum aufrecht halten konnte, und torkelte ins Haus, wo er die anderen Männer auf dem Boden verstreut vorfand. Das Feuer war heruntergebrannt, spendete aber noch genug Licht, dass er sich ein freies Plätzchen suchen konnte. Er rollte sich auf dem Boden zusammen, wickelte sich in sein Plaid und schlief augenblicklich wieder ein.
    Am nächsten Morgen wurde er unsanft durch einen Tritt in seine Kehrseite und Malcolms Stimme geweckt, die ihn auf Englisch aufforderte, wenigstens nicht allen im Weg herumzuliegen, wenn er schon den ganzen Tag verschlafen wolle.
    Dylan setzte sich auf und fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. Sein Kopf hämmerte, er hatte einen pelzigen Geschmack im Mund, und ihm war so übel, dass er die Schüssel Haferbrei, die eine Frau ihm reichte, am liebsten beiseite gestellt hätte. Doch wenn er inzwischen eins gelernt hatte, dann das: Bekam man etwas zu essen angeboten, dann aß man auch. Während der ersten Woche, die er in einem Jahrhundert verbracht hatte, wo man nicht zu jeder beliebigen Tages- und Nachtzeit den Kühlschrank plündern konnte, hatte ihm ständig der Magen geknurrt; außerdem hatte er nach Zucker und Koffein geradezu gelechzt. Diese Gier war inzwischen verflogen, und er hatte sich angewöhnt, sich den Bauch voll zu schlagen, wann immer er Gelegenheit dazu bekam. Also zwang er sich, den Haferbrei in sich hineinzulöffeln und auch bei sich zu behalten. Als er die Schüssel geleert hatte, fühlte er sich besser, und er beschloss, jetzt eine Latrine ausfindig zu machen.
    Suchend blickte er sich um und fragte sich, wie das stille Örtchen hier wohl aussehen mochte. Das Haus bestand nur aus einem einzigen Raum mit mehreren Trennwänden, die nicht bis zur Decke reichten. Holzbalken trennten die Ecke ab, in der das Vieh seinen Platz hatte, und eine Art geflochtener Wandschirm stand vor den Schlaflagern der Frauen, die dahinter miteinander flüsterten. Die fünf Männer hatten samt und sonders auf dem schmutzigen Boden geschlafen, rund um die Feuerstelle herum, die nichts anderes war als eine kleine, unter einem

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