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Vogelfrei

Titel: Vogelfrei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julianne Lee
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gleichmütig fort, als sei Schwestermord in schottischen Clans an der Tagesordnung: »Sie war weder verheiratet noch einem Mann versprochen, und niemand zweifelte daran, dass es sein Kind war, das sie trug. Auf jeden Fall wurde er schuldig gesprochen und verurteilt. Auf dem Weg nach Glasgow, wo er hingerichtet werden sollte, gelang ihm die Flucht. Seitdem lebte er als Vogelfreier hier in den Bergen. Jetzt ist der Gerechtigkeit Genüge getan.«
    Als Dylan nichts darauf erwiderte, sah Malcolm ihn streng an, ehe er den Kopf des Leichnams fallen ließ. »Dieser Mann war ein Outlaw, ein Mörder, der dich um deines Pferdes und deiner Habseligkeiten willen kaltblütig umge-bracht hätte. Er gehörte nicht mehr zur menschlichen Gesellschaft, und er hat entschieden zu lange auf dieser Welt sein Unwesen getrieben, findest du nicht?«
    Dylan straffte sich und schob das Kinn vor. »Doch, so gesehen hast du Recht.« Trotzdem vermochte er den Blick nicht von dem Toten abzuwenden. Der kupferartige Blutgeruch verschlug ihm beinahe den Atem, und er spürte, wie sich ihm der Magen umzudrehen drohte. Rasch drehte er sich um, schluckte hart und wischte seinen Dolch an seinem ohnehin schon blutverschmierten Hemd ab.
    Malcolm griff nach dem Schwert, das dem Outlaw entglitten war, und säuberte es an dessen Plaid, dann hielt er Dylan die Waffe hin. »Du hast dir dieses Schwert redlich verdient, mein Sohn. Benutze es mit demselben Geschick, mit dem du deinen Dolch gebrauchst, dann hast du vor keinem Menschen etwas zu fürchten.«
    Langsam, wie in einem Traum gefangen nahm Dylan das Schwert entgegen. Es war ein schon ziemlich altes zweischneidiges Breitschwert mit einem herzförmigen, aus durchbrochenem Stahl gefertigten Korbgriff. Dylan ließ es durch die Luft wirbeln, vollführte einen seitlichen Ausfall und fand, dass die Waffe gut ausbalanciert war; an ein Schwert wie dieses konnte er sich gewöhnen. Ein bitteres Lächeln spielte um seinen Mund, als er daran dachte, dass er vor noch gar nicht allzu langer Zeit seine unsterbliche Seele für ein echtes Breitschwert aus dem siebzehnten Jahrhundert verkauft hätte. Dann blickte er auf den Toten hinab. Ein Menschenleben war dieses Schwert allerdings nicht wert.
    Malcolm legte auf einmal eine auffallende Eile an den Tag. Er streifte seinen Kilt über, ohne sich die Mühe zu machen, ihn in Falten zu legen, schlang sich sein Wehrgehänge über die Brust und schob sein Schwert in die Scheide an seiner Seite. Dann stieß er mit dem Fuß etwas Erde über die glimmende Holzkohle, ehe er auf das Wehrgehänge des Toten deutete. »Nimm ihm das ab - und alles, was sich sonst noch gebrauchen lässt -, und dann hol die Pferde. Die Sonne ist schon fast aufgegangen, und wir verschwinden lieber von hier, ehe noch jemand Lust bekommt, nähere Bekanntschaft mit deinem kleinen Dolch zu machen.«
    Dylan gehorchte und schob sein neues Schwert in die Scheide. Die abgewetzte Tasche an MacDonells Gürtel enthielt lediglich einen Holzbecher und einen kleinen Lederbeutel, in dem zwei Pence steckten. Er verstaute die Münzen in seinem eigenen sporran und ließ Becher und Beutel zurück, dann wandte er sich an Malcolm. »Nehmen wir den Leichnam mit?«
    Malcolm überlegte einen Moment. »Die Einzigen, die vielleicht ein Interesse daran haben, ihn zu begraben, sind seine räuberischen Freunde. Wir überlassen ihnen die Leiche. Wenn wir in Killilan angekommen sind, können wir einen Boten mit der Nachricht von Seamus' Tod zum Laird der MacDonells schicken.«
    Dylan nickte, er war froh, dass er den Leichnam nicht noch einmal berühren musste. Er ging zu den Pferden und beäugte sein Reittier misstrauisch, doch es schien zu spüren, dass er nicht in Stimmung für irgendwelche Sperenzchen war, und ließ sich widerstandslos satteln.
    Die Reiter setzten ihren Weg fort. Als sie aus den bewaldeten Hügeln hinaus ins offene Land kamen und der Weg breiter wurde, ließ Caitrionagh sich neben Dylan zurückfallen. »Gebt mir Eure Hand«, befahl sie.
    »Hmm?« Dylan reagierte nicht gleich. Er war erschöpft, halb benommen und hatte keine Lust, sich auf eine Unterhaltung einzulassen.
    »Gebt mir Eure Hand. Die verletzte.«
    Dylan blickte auf seine rechte Hand und bemerkte erst jetzt, dass sie heftig pochte. Der schmale Schutzbogen am Griff seines Dolches hatte zwar die Wucht der Schwerthiebe abgefangen und verhindert, dass ihm die Finger abgetrennt worden waren, trotzdem hatte er drei tiefe, hässliche Schnittwunden davongetragen. Die

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