Vogelwild
Landsleuten Kredite gegeben, war Eigentümer
mehrerer Häuser, die er an seine Landsleute vermietete, die neu zugereist
waren. Ziemliche Bruchbuden sollen das gewesen sein, aber immerhin.«
Schneidt wurde hellhörig: »Wie kommt denn so einer zu
so viel Geld? Das kann doch nicht mit rechten Dingen zugehen.«
Genau auf diesen Satz hatte Morgenstern insgeheim
gewartet. Mit großer Geste, fast theatralisch, legte er Önemirs Fotosammlung
auf den Schreibtisch. »Das hier könnte der Schlüssel zu seinem Reichtum sein.
Ich habe die Bilder in einem Versteck im Steinbruch gefunden und mitgenommen.
Anscheinend wollte Önemir nicht, dass sie jeder Besucher sah.«
Schneidt reagierte wider Erwarten überhaupt nicht
beeindruckt, sondern eher gereizt: »Und damit kommen Sie mir erst jetzt? Seit
Donnerstag schleppen Sie die Dinger mit sich herum, ohne einen Pieps zu sagen?
Lassen Sie mal sehen.«
»Ich hatte sie zuerst nicht als wichtig eingeschätzt«,
gestand Morgenstern und wurde rot. »Hecht und ich haben sie uns erst heute
genauer angesehen.« Er legte die Polaroids umständlich vor Schneidt auf der
Schreibtischplatte aus und kippte dabei auch noch eine Dose mit Stiften um.
»Nun seien Sie mal nicht so nervös«, meinte Schneidt
jetzt wieder versöhnlich. »Wollen wir mal sehen, was wir da haben.« Er erhob
sich, um die Fotos besser betrachten zu können.
»Fossilien«, sagte er. »Sehr schöne Fossilien. Leider
schlecht fotografiert. Viel zu wenig Licht. Ich dachte, in den Steinbrüchen
wird unter freiem Himmel gearbeitet?«
»Schon«, sagte Morgenstern. »Aber viele Arbeiter haben
ein Winterdach, so eine Art Schuppen, in dem sie auch bei schlechtem Wetter
weiterarbeiten können. Da habe ich auch die Fotos gefunden. Wahrscheinlich
wurden die Fossilien in diesem Unterstand geknipst. Da konnte Önemir wenigstens
relativ sicher sein, dass er keine unerwünschten Zuschauer hatte. Ich nehme an,
dass er die Sachen unter der Hand verkauft – ich meine, verkaufen wollte.«
Allmählich kam Morgenstern so richtig in Fahrt. »Hecht und ich haben zuerst
gedacht, die Schildkröte hier wäre das wertvollste Stück.« Er tippte auf das
entsprechende Bild.
»Scheint mir auch so«, stimmte ihm Schneidt zu. »Die
ist ja auch wirklich sehr auffällig.«
»Aber heute Mittag ist uns klar geworden, dass Önemir
noch etwas viel Wertvolleres im Angebot hatte.« Mit triumphierender Miene
deutete Morgenstern auf das Foto mit dem Knöchelchen-Wirrwarr, das er zuvor
besonders unauffällig am Rand des Tisches platziert hatte, um so den
größtmöglichen Überraschungseffekt zu erzielen.
Schneidt, der immer noch stand, musste sich weit nach
vorne beugen, um das Motiv erkennen zu können.
»Und was soll das sein?«, fragte er ungeduldig.
»Verflixt, jetzt machen Sie es halt nicht so spannend, Morgenstern!«
Der Oberkommissar räusperte sich: »Nach unserer
Einschätzung ist das ein versteinerter Vogel. Ein Urvogel.«
Zu Morgensterns Verwunderung wusste sein Vorgesetzter
auf Anhieb Bescheid. »Was? Ein Archaeopteryx? Sind Sie sich da sicher? Ich habe
gar nicht gewusst, dass Sie sich mit Fossilien auskennen!«
»Man wächst eben mit seinen Aufgaben«, gab Morgenstern
etwas eitel zurück und beschloss, sich den Begriff »Archaeopteryx« für immer
und ewig einzuprägen. Wenn der schon seinem Chef so flüssig über die Lippen
kam, dann würde er selbst ihn mit Sicherheit auch noch öfter in diesem Fall
brauchen. Schließlich konnte er nicht immer nur »Urvogel« sagen, auch wenn das
eigentlich auf dasselbe hinauslief.
Dann erläuterte Morgenstern, wie er das Rätsel der
steinernen Knochen selbst geknackt hatte. Zur besseren Dokumentation seiner
Gedankengänge habe er sogar etwas mitgebracht, verkündete er stolz, bevor er
sich nach dem Plastikbeutel bückte, den er am Schreibtischfuß abgestellt hatte,
und ihn öffnete.
»Na, Mahlzeit!«, entfuhr es Schneidt nach einem Blick
in die Tüte. »Und was soll ich jetzt mit den Resten Ihrer Brotzeit anfangen?«
»Das sind Hähnchenknochen, Vogelknochen, wie sie auch
der Archä… Archä…, na, der Urvogel halt hatte. Und heute beim Mittagessen
ist mir die frappierende Ähnlichkeit aufgefallen. Hinter unserer Versteinerung
kann natürlich auch irgendein anderes Tier stecken, aber etwas Wertvolles ist
es auf jeden Fall. Wir wollten schon den Museumsdirektor auf der Willibaldsburg
zurate ziehen und ihm die Fotos zu zeigen, aber leider war dort Ruhetag.«
»Alle Achtung, Morgenstern! Ihnen ist noch
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