Vogelwild
Brauerei: »Heute Ruhetag.«
»Wegen Reichtum geschlossen«, meinte Morgenstern
sarkastisch. »Die haben’s wohl nicht nötig. Na, zum Glück sind wir nicht zum
Essen raufgekommen.« Er schaute auf seine Armbanduhr: »Es ist kurz vor zwölf,
und mir knurrt schon der Magen. Schauen wir einfach, dass wir den
Museumsdirektor erwischen, und dann fahren wir schnellstens runter in die
Behördenkantine zum Mittagessen.«
Energisch ging der Oberkommissar auf das hölzerne
Eingangstor zu, wo eine Metalltafel über die beiden Museen informierte. Gezeigt
wurden Fotos von bunten Korallenfischen und vom Mammut. Dann drückte
Morgenstern die Klinke. »Zu!«, sagte er und wollte es nicht glauben. Er drückte
und rüttelte noch mehrere Male, aber vergeblich.
»Vergiss es«, sagte Hecht, »schau dir lieber das mal
an.« Er deutete unten auf die Metalltafel.
»›Öffnungszeiten: 10 bis 17 Uhr. Montag Ruhetag‹«, las
Morgenstern, aber es dauerte noch eine Schrecksekunde, bis ihm klar wurde, was
das in ihrem Fall bedeutete. »Scheiße!«, entfuhr es ihm, und mit einem kurz
aufflackernden Wutanfall drosch er drei Mal mit der Faust gegen das Holztor.
»Montag Ruhetag«, wiederholte Hecht. »Wir sind ja zwei
Helden. Kein Museum auf der ganzen Welt hat am Montag offen.«
»Siehst du, ich habe dir ja gesagt, dass du mit mir
noch was lernen kannst«, machte sich Morgenstern kleinlaut bemerkbar.
»Jetzt schreibe ich mir erst einmal die Öffnungszeiten
und die Telefonnummer auf, und dann spendiere ich uns ein Eis – du willst doch
eins?«
An der Ecke der Schenke stand unter freiem Himmel ein
blauer Münzautomat, der mit einem Dutzend Eissorten gefüllt war. Hecht
entschied sich in Erinnerung an längst vergangene Kindheitstage für ein Nucki
Erdbeer, eine steinharte Mischung aus Erdbeer-und Vanilleeis, die in eine
Hörnchenwaffel gepresst worden war. Zu Hechts Erstaunen wählte Morgenstern eine
knallrote, extrem künstlich wirkende Marke namens Bum Bum, hinter der sich mit
einem pappsüßen Zuckerüberguss überzogenes Vanilleeis verbarg. Der Clou an Bum
Bum, so dozierte Morgenstern begeistert, sei der Stiel, denn das mit blauem
Plastik umhüllte Stängelchen enthalte einen Kaugummi. »Toll, oder?«, freute
sich der Oberkommissar wie ein kleiner Junge. Hecht enthielt sich
sicherheitshalber jeden Kommentars. So gut kannte er den neuen Kollegen dann
doch noch nicht, dass er mit Gewissheit bei ihm Ernst von Ironie unterscheiden
konnte.
»Verdirb dir bloß nicht den Appetit«, meinte er
deswegen betont neutral. »Wir fahren gleich zum Mittagessen runter in die Kantine.
Warst du schon mal da?«
»Nein, bisher war ich fast immer nur in Ingolstadt im
Einsatz, und wenn ich mal in Eichstätt bin, esse ich daheim, ist doch logisch.«
»Du hast es wirklich gut. Seit sich meine Angelika von
mir getrennt hat, muss ich selber schauen, wie ich über die Runden komme.
Dieses ewige Essen in der Kantine oder bei McDonald’s, die Bratwürste und Döner
hängen mir allmählich echt schon zum Hals raus. Außerdem gehen die ganz schön
auf die Figur.« Hecht klopfte sich demonstrativ auf seinen dünnen Bauch.
»Ich wäre wirklich froh, wenn ich mal wieder zu
McDonald’s käme«, erwiderte Morgenstern. »Zwei Cheeseburger, große Pommes,
große Cola mit viel Eis und ultrasüße Eiscreme, wie lecker! Aber Fiona ist
strikt dagegen.«
»Na ja, vielleicht klappt es ja mit uns beiden in den
nächsten Tagen. Aber heute essen wir lieber unten im Landratsamt«, entschied
Hecht, »da ist es nämlich auf jeden Fall billiger.«
In ihrem hellblauen Audi rollten sie auf den
Burgtunnel zu, wo sie dieses Mal warten mussten. Ächzend und mit hochroten
Köpfen schoben die zwei Radler, die sie unten am Berg schon gesehen hatten,
ihre Drahtesel durch die finstere Röhre ihrem Ziel entgegen.
»Sollen wir ihnen sagen, dass oben alles geschlossen
ist?«, fragte Hecht.
Morgenstern schüttelte grinsend den Kopf: »Lieber
nicht, sonst laden die ihren Zorn noch auf uns ab. Merke: In alten Zeiten wurde
der Überbringer von schlechten Nachrichten schon für weniger geköpft.«
»Auch wieder wahr«, sagte Hecht und winkte freundlich,
als das sportive ältere Ehepaar sie passierte.
Das
Landratsamt befand sich inmitten der Altstadt, in der ehemaligen barocken
Residenz des Fürstbischofs. Als diesem seine Willibaldsburg als Wohnsitz zu
ungemütlich wurde, hatte er sich kurzerhand in der Stadt eine zeitgemäßere
Residenz errichten lassen, welche die vergangenen drei
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