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Vogelwild

Vogelwild

Titel: Vogelwild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Auer
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Jahrhunderte unbeschadet
überstanden hatte. Und dass der Landrat heute von der Residenz aus über
Eichstätt und das Umland herrschte, passte irgendwie recht gut in die
überlieferte Nutzung. Für die hungrige Beamtenschaft war in zwei rustikalen
Gewölberäumen im Erdgeschoss eine Kantine eingerichtet worden, die auch die
Angestellten der verschiedenen benachbarten Ämter nutzen konnten: Finanz-,
Forst-oder Vermessungsbeamte stärkten sich hier zur Mittagszeit bei, wie es so
schön heißt, gutbürgerlicher und nicht zuletzt reichlicher Küche. Auch die
Polizeibeamten waren gern gesehene Gäste.
    Morgenstern erkannte schon beim Hineingehen, dass die
Kantine aus den siebziger Jahren stammte und seither kaum Veränderungen
erfahren hatte: Der Raum war braun und orange, und auch die dunkelbraunen
Tische und Stühle ließen den Willen ihrer ehemaligen Konstrukteure erkennen, in
all dem Residenzprunk von goldenen Türgriffen und barockem Stuckgeschnörkel die
kühle, nüchterne Funktionalität zu betonen. An der Längsseite, wo sich die
Essensausgabe befand, hing eine schwarze, holzumrandete Tafel und informierte
über das Tagesangebot. Es standen zwei Gerichte zur Wahl: Hackbraten mit
Kartoffelpüree und Marktgemüse sowie Grillhähnchen mit Pommes und gemischtem
Salat.
    »Hackbraten – super, mag ich gerne«, freute sich
Morgenstern, dem trotz des Bum Bums bereits das Wasser im Mund zusammenlief.
    Doch Hecht zischelte ihm zu: »Spinnst du? Doch nicht
heute am Montag! Da sind doch bestimmt die ganzen Reste von letzter Woche
drin.«
    »So ein Quatsch«, tat Morgenstern Hechts Befürchtungen
ab, »die heben doch hier nichts auf.«
    »Na, wenn du dir da so sicher bist, greif zu«, legte
Hecht nach.
    Morgenstern war nun doch verunsichert. »Also gut, zwei
Mal Hähnchen mit Pommes«, entschied er.
    Hecht grinste: »Jetzt nimm halt deinen Hackbraten. War
doch nur Spaß. Außerdem essen hier auch die Lebensmittelkontrolleure vom
Landratsamt, und die müssen es doch wissen.«
    Doch Morgenstern war nicht mehr umzustimmen. »Jetzt
mag ich auch nicht mehr. Ich esse Hähnchen – und basta.« Sprach’s, setzte sich
an einen Tisch und klebte den Kaugummi seines Bum-Bum-Eises, den er seit dem
Flop auf der Burg zermalmt hatte, an die untere Seite der Tischplatte.
    Die
beiden Kommissare verzehrten ihre »Gummiadler«, wie Morgenstern zunächst
missgünstig über die Grillhähnchen geurteilt hatte, mit großem Genuss und
ließen kein Fitzelchen Fleisch mehr übrig. »Hunger ist einfach der beste Koch«,
sagte Morgenstern zufrieden seufzend. Auf den beiden Tellern lagen nur noch die
säuberlich abgenagten Geflügelknochen.
    »Trinken wir noch einen Kaffee?«, fragte Hecht, doch
Morgenstern reagierte nicht. »Hallo? Möch – test – du auch noch ei – nen Kaf –
fee?«, wiederholte Hecht, indem er jede Silbe einzeln betonte und sich sehr
über seinen geistesabwesenden Kollegen wunderte, der mit starrem Blick seinen
Teller fixierte. »Was hast du denn?«, wunderte sich Hecht. »War was nicht in
Ordnung? Ist dir schlecht?«
    Nachdenklich hob Morgenstern den Kopf, legte den
Finger an die Nase und deutete dann auf die Reste seines Hähnchens. »Kommt dir
das nicht irgendwie bekannt vor?«
    Hecht starrte auf die Knöchelchen, die in einer
kleinen Ketchuplache schwammen.
    »Nein, beim besten Willen nicht«, sagte er, nachdem er
ein paar Momente lang gegrübelt hatte. »Was soll damit sein?«
    »Denk doch mal an die Fotos. Die aus dem Steinbruch.«
Aber Hecht verstand noch immer nicht, und Morgenstern wurde mit jeder Sekunde
nervöser. »Ich gehe jetzt sofort raus zum Auto und hole die Bilder.«
    Doch Hecht hielt ihn auf: »Brauchst du nicht, ich habe
die Fotos doch heute Vormittag eingesteckt.« Hecht lief zu den Garderobenhaken,
wo er in der Innentasche seiner beigefarbenen Sommerjacke wühlte. Mit Önemirs
Bilderpacken in der Hand kehrte er triumphierend an den Tisch zurück. »Jetzt
bin ich aber gespannt, was du meinst.«
    Morgenstern sah sich noch einmal die Fotos an, aber
erst das fünfte Bild war das, wonach er gesucht hatte. Er betrachtete es lange,
nickte wie zu sich selbst und legte es dann neben seinen Knochenteller. Er
machte stark den Eindruck eines Schafkopfspielers, der gerade mit dem
Eichel-Ober sein Spiel gewinnt. »Was sagst du nun? Das ist doch nicht zu
verleugnen, dass das eine gewisse Ähnlichkeit hat.«
    Hecht schaute vom grünstichigen Foto auf die
Hähnchenknochen, dann wieder auf das Bild. Schließlich murmelte er

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