Vogelwild
nicht
einmal der Begriff ›Archaeopteryx‹ geläufig, und trotzdem haben Sie das Tier
identifiziert. Aber vielleicht könnten Sie trotzdem so freundlich sein, Ihre
Brotzeittüte wieder zuzumachen, ansonsten vergeht mir noch der Appetit aufs
Abendessen.«
Etwas enttäuscht stellte Morgenstern die Tüte wieder
auf den Boden zurück. Eigentlich hatte er vorgehabt, ihren gesamten Inhalt auf
dem voluminösen Chefschreibtisch auszubreiten, um die Röhrenknochen des
Hähnchens denen auf dem Urvogelfoto im Detail gegenüberstellen zu können. Aber
das ersparte er sich wohl jetzt besser, Schneidt glaubte ihm ja ohnehin.
Sein Vorgesetzter faltete die Hände und knetete
konzentriert die Finger. »Also, meine Herren: Wir haben einen Arbeiter, der
illegal mit Fossilien gehandelt und einen Archaeopteryx angeboten hat. Einen
Archaeopteryx, nach dem sich jedes Naturkundemuseum auf der ganzen Welt die
Finger ablecken würde. Und jetzt ist dieser Mann tot.«
»Woher wissen Sie das mit den Naturkundemuseen?«,
fragte Morgenstern vorsichtig nach.
»Aber lieber Morgenstern, da sieht man mal wieder,
dass Sie noch nicht lange hier in unserer schönen Region zu Hause sind. Wenn
hier ein neuer Archaeopteryx auftaucht, dann ist die ganze Zeitung voll davon.
Und ich meine damit nicht bloß unsere Regionalzeitung, den Vogel finden Sie
dann auch in der ›Münchner Abendzeitung‹ und im ›Spiegel‹. Sie sind wohl kein
großer Zeitungsleser?«
»Doch, schon«, gab Morgenstern kleinlaut zurück, »aber
das muss mir wohl irgendwie entgangen sein.«
»Ganz genau kenne ich mich natürlich auch nicht aus«,
räumte Schneidt großzügig ein und blickte seine beiden Kommissare ernst an,
»aber Sie beide, Sie müssen herausfinden, in wessen Besitz sich der
Archaeopteryx nun befindet. Und wer ein Interesse haben könnte, seinetwegen
einen Menschen umzubringen.«
»Von einem wissen wir schon«, mischte sich jetzt auch
wieder Hecht ein. »Es gibt da einen jungen Türken, der bei Önemir hohe Schulden
hatte und deshalb in letzter Zeit für ihn im Steinbruch arbeiten musste.«
»Wie sind Sie denn auf den gestoßen?«, fragte Schneidt
staunend.
»Wir haben uns in einem Kebab-Laden in Eichstätt
umgehört.«
»Na, wunderbar, dann nichts wie los«, kommandierte
Schneidt plötzlich voller Energie, »das könnte unser Mann sein.«
»Wir waren schon bei seiner Wohnung, aber er ist
weggefahren«, bremste Hecht den Chef in seiner Motivation.
Und sofort fügte Morgenstern beschwichtigend hinzu:
»Seine Nachbarin hält uns auf dem Laufenden und meldet sich bei uns, sobald er
wieder auftaucht.« Bei näherer Überlegung war er sich allerdings nicht wirklich
sicher, ob sich die Rentnerin Rosa Aurich tatsächlich als Erstes bei der
Polizei melden würde. Vielmehr würde sie ihrem Ali alles, was sie von den
Beamten erfahren hatte, haarklein erzählen.
»Und seit wann ist er weg, dieser Typ mit den
Schulden?«, bohrte Schneidt nach.
Hecht kramte seinen kleinen Notizblock aus der
Jackentasche, blätterte kurz und meinte dann: »Seit Freitagnachmittag, sagt die
Nachbarin. Und er hätte bloß eine leichte Tasche dabeigehabt.«
»Für einen Archaeopteryx dürfte die trotzdem reichen«,
brummte Schneidt. »Vorausgesetzt natürlich, er hat ihn tatsächlich in die
Finger bekommen.«
»Wieso vorausgesetzt?« Morgenstern stutzte.
»Nun, Sie haben doch selbst gesagt, dass die Fotos
sehr sorgfältig versteckt waren.«
»Stimmt, hinter einem Kühlschrank, außerdem waren sie
noch in Zeitung eingewickelt.«
»Sehen Sie, und da hätte sie niemand gesucht, mit
Ausnahme von Ihnen. Anscheinend verfügen Sie über so etwas wie einen siebten
Sinn. Wenn aber unser Herr Önemir schon die Fotos so gut vor neugierigen
Blicken geschützt hat, was wird er dann erst mit den Fossilien selber gemacht
haben? Glauben Sie etwa, die hat er einfach so in seiner Bude im Steinbruch
herumliegen lassen? Vielleicht in einem Paket mit der Aufschrift
›Archaeopteryx‹? Bestimmt nicht. Sie haben sich da oben doch umgesehen,
Morgenstern, ist Ihnen nicht irgendetwas Besonderes aufgefallen?«
»Nicht dass ich wüsste«, antwortete der Oberkommissar
verhalten. »Ich hatte nicht viel Zeit, und in dem Verschlag war es
zappenduster. Aber wenn diese Versteinerungen so wertvoll sind, glaube ich
nicht, dass Önemir die seinen Kollegen im Steinbruch mit Trara unter die Nase
gehalten hat – und erst recht nicht dem, der bei ihm Schulden hatte.«
»Na bitte. Aber er hat die Fotos gemacht. Und
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