Vogelwild
nichts!«
»Aber Herr Schneidt, immerhin wissen wir doch jetzt,
dass diese Fossilien eine Rolle spielen könnten«, gab Hecht vorsichtig zu
bedenken.
»Könnten, könnten«, schnauzte der Chef gereizt zurück.
»Wir brauchen Indizien und keine Konjunktive, und schon gar nicht brauchen wir
irgendwelche blöden Hendlknochen.« Schneidt war nahe daran, die Geduld zu
verlieren. Er umrundete den Schreibtisch, bückte sich und hob Morgensterns
Plastiktüte mit den Hähnchenresten in die Höhe. »Glauben Sie wirklich, dass Sie
damit einen Richter beeindrucken können, Morgenstern? Ja? Ich sage Ihnen jetzt
mal, was passiert: Sie beide werden sofort nach Zeugen suchen, die am
Donnerstagmorgen an diesem Steinbruch vorbeigekommen sind. Das hätten Sie
nämlich schon am Donnerstag tun sollen, als die Gaffer noch alle vor Ort waren.
Denken Sie etwa, ich habe das Bild in der Zeitung nicht gesehen? Das ganze Dorf
war zur Stelle, und haben Sie auch nur einen Einzigen von diesen Leuten
befragt, Morgenstern? Nein, Sie sind durch den Bruch spazieren gegangen.«
Hecht und Morgenstern senkten die Köpfe und schwiegen.
»Sie werden das jetzt schnellstmöglich nachholen,
meine Herren. Ich möchte, dass Sie ganz Wintershof nach Zeugen absuchen. An so
einem Feiertag, morgens oder am Vormittag, hat so eine Ortschaft tausend Augen.
Da wird ein fremdes Auto genauso registriert wie ein unbekannter Spaziergänger.
Vielleicht weiß ja zufällig noch jemand etwas über den Fossilienhandel. Also,
ran an den Speck!«
Morgenstern wollte es nicht wahrhaben, zu welcher
monströsen Aufgabe sie da gerade verdonnert worden waren. »Wir sollen uns als
Klinkenputzer betätigen?«, fragte er ungläubig.
»Sie haben’s erfasst«, nickte der Kripo-Leiter
bestätigend. »Fragen Sie so viel wie möglich rum, denn ich halte es für
möglich, dass wir in Wintershof fündig werden. Sagen Sie den Leuten einfach,
dass wir Zeugen für den Unfall suchen. Und von mir aus können Sie sogar
andeuten, dass es nicht unbedingt ein Unfall gewesen sein muss.«
Morgenstern blickte zu Hecht hinüber, der gequält das
Gesicht verzog. Was Schneidt hier vorhatte, war die Suche nach der
sprichwörtlichen Nadel im Heuhaufen.
»Wäre es nicht effizienter, einen Aufruf über die
Lokalzeitung zu starten?«, schlug Hecht als letzten Versuch vor, das Unglück
von ihnen abzuwenden. »Wenn wir erst einmal mit unserer Haus-zu-Haus-Umfrage
anfangen, kommen die Zeitungsschmierer doch sowieso im Nu dahinter und stecken
ihre Nasen rein. Dann könnten wir sie doch auch gleich einschalten.«
»Mein Lieber, es ist offensichtlich, dass Sie
schlichtweg keine Lust darauf haben, sich die Schuhsohlen durchzulaufen.«
Schneidt traf den Nagel auf den Kopf. »Aber Wintershof ist nur ein kleiner Ort,
vielleicht sechzig Häuser, das haben Sie beide im Nu erledigt.«
»Das sagen Sie!«, protestierte nun auch Morgenstern.
»So ein Drückerjob ist doch echt das Letzte. Ich glaube wirklich nicht, dass
sich der Aufwand lohnt.«
Der Oberkommissar blickte zu seinem Partner in der
Hoffnung hinüber, dass dieser ihm angesichts der drohenden Mammutaufgabe
beipflichtete, doch Hecht hatte nun offensichtlich aufgegeben und schwieg. Er
war bereit, sich seinem Schicksal zu beugen, denn im Gegensatz zu Morgenstern
kannte er Adam Schneidt schon eine längere Zeit.
In diesem kurzen Moment des Schweigens verlor Schneidt
nun endgültig die Geduld. »Oder haben Sie vielleicht keine Zeit, Herr
Morgenstern?«, schlug er einen zynischen Ton an. »Welche Aufgaben haben Sie
denn sonst noch gerade so auf Ihrem Schreibtisch liegen?«
Morgenstern spürte, dass das Gespräch für ihn in eine
Sackgasse geraten war. Anscheinend ging es Adam Schneidt ums Prinzip. Wie alle
Chefs hegte er den schwer begründbaren Verdacht, die Untergebenen könnten ihre
teuer bezahlte Arbeitszeit leichtfertig verplempern, indem sie von Kaffeepause
über Mittagessen und Siesta dem Feierabend entgegentrödelten, während die
Arbeit liegen blieb. Solche unausgesprochenen Unterstellungen waren zumindest
im Fall Morgenstern eine himmelschreiende Ungerechtigkeit.
Umgekehrt hatte der Oberkommissar seit jeher seine
jeweiligen Vorgesetzten im Verdacht, sich auf Kosten ihrer Mitarbeiter einen
ruhigen Lenz zu machen. Dass die vom Polizeipräsidium abonnierten Exemplare der
Tageszeitung regelmäßig erst um die Mittagszeit an den mittleren Dienst
ausgehändigt wurden, passte da nur zu gut in sein Bild vom Dienststellenleiter,
der den Arbeitstag
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