Vogelwild
signalisieren
wollen.« Sein Lächeln wirkte jetzt eitel. »Sie haben ja gerade mitbekommen,
dass in meinen Vorlesungen nichts vorgelesen wird. Da geht es zur Sache, da
wird Klartext gesprochen. Als wissenschaftliches Vorbild bin ich das den jungen
Menschen schuldig, und die überwiegend positive Resonanz bestätigt mich ja auch
in dem, was ich tue. Sonst könnten sie sich genauso gut in die Bibliothek
setzen und ein Buch lesen. Aber die Studenten kommen gerne zu mir. Ich habe …«,
er verdrehte eingebildet die Augen, »… ich habe richtige Fans, wenn man
das so sagen darf. Besser würden vielleicht die Bezeichnungen ›Verehrer‹ oder
›Schüler im Sinne der antiken Vordenker‹ passen. Sie können sich ja vorstellen,
dass das natürlich nicht jedem meiner Kollegen hier an der theologischen
Fakultät gefällt.«
»Herr Heine«, sagte Morgenstern scharf und verzichtete
dabei bewusst auf die Nennung des Professorentitels, »sagen Sie uns jetzt
bitte, wer die beiden Studenten auf der Treppe waren? Die jungen Männer, die
mein Kollege, Oberkommissar Hecht, und ich bis zum Priesterseminar verfolgt
haben, wo ihnen leider die Flucht gelungen ist.«
»Sie sind Ihnen also entkommen? Das tut mir aber
leid.« Morgenstern glaubte, feinste Ironie, schneidend wie eine Diamantsäge,
aus Heines Stimme herauszuhören. »Aber was werfen Sie den beiden denn vor?«,
wollte der Professor mit falsch-freundlicher Stimme wissen.
»Wir stellen hier die Fragen!« Jetzt wurde auch Hecht
patzig.
Der Professor blickte gelangweilt aus dem Fenster:
»Wie Sie meinen. Ich habe jedenfalls nichts zu verbergen. Allerdings liegt es
ganz und gar nicht in meiner Persönlichkeit, mich über jemanden zu äußern, wenn
ich nicht weiß, worum es geht. Aber wenn Sie im Rahmen Ihrer Ermittlungsarbeit
darauf bestehen: Ich habe die Namen nicht parat, kann aber selbstverständlich
in meinem Büro auf der Liste all meiner Studenten nachschauen. Da werde ich sie
sofort identifizieren können, und Adressen und Telefonnummern finden sich da
auch.«
»Na also«, atmete Morgenstern auf, »geht doch. Dann
also nichts wie los, wir haben keine Zeit zu verlieren.« Im Hinausgehen
flüsterte er Hecht so zu, dass es Heine nicht hörte: »Ich habe das Gefühl, der
Schlauberger weiß mehr, als er zugeben will.«
»Hauptsache, es geht jetzt schnell«, erwiderte Hecht
genauso leise.
In seinem Büro blätterte der Professor umständlich und
in aller Seelenruhe in verschiedenen Aktenordnern herum, während die Kommissare
sich neugierig in dem kleinen, mit Regalen und Papierstapeln zugestellten Raum
umsahen. Hinter dem Schreibtisch hing ein Poster, das Jerusalem mit dem
Felsendom zeigte, wie Morgenstern einer Unterschrift entnahm. Daneben waren auf
einem rot gerahmten Foto mehrere Männer in einem Hafen zu sehen. Den
Hintergrund bildete ein Schaufelraddampfer.
»Mississippi«, sagte Morgenstern fachkundig. »Sie
waren mal am Mississippi?«
Der Professor hielt kurz im Blättern inne: »Ja, vor
etwa zehn Jahren. An unserer Partneruniversität in Baton Rouge, ich hatte da
für zwei Semester einen Lehrauftrag.«
»Toll«, sagte Morgenstern neidisch. »Louisiana, da
wollte ich immer schon mal hin.«
»Absolut lohnend«, pflichtete Heine ihm bei. »Ich mag
den Menschenschlag dort. Die Leute sind ehrlich, aufrecht und direkt. Und tief
im christlichen Glauben verwurzelt. Nicht so oberflächlich wie hier.«
»Aber meines Wissens sind das doch keine Katholiken,
oder?«, gab Hecht zu bedenken, zog sich damit aber die Missbilligung des
Professors auf sich.
»Mein Herr, das halte ich nicht für die entscheidende
Frage. Die Katholiken sind dort in der Tat eine Minderheit, aber ich habe am
eigenen Leib erfahren dürfen, dass das Zusammenleben mit wahrhaft überzeugten
Christenmenschen über die Konfessionen hinweg sehr beglückend sein kann. Wir
lesen doch alle dieselbe Bibel. Ich darf Ihnen sagen: Ich habe in den
Vereinigten Staaten von Amerika bei meinen Kollegen an der Universität viel
gelernt.«
Morgenstern schüttelte den Kopf. Bei Louisiana dachte
er eher an lange Motorradtouren, an Baumwollfelder, Jazz und Blues, an die
Bourbon Street in New Orleans. Ach, New Orleans! Diese ausschweifende,
verruchte, lasterhafte, immer wieder von Flutkatastrophen bedrohte Stadt. Wenn
er jemals dorthin kommen sollte, dann würde er sich ganz sicher nicht mit den
Feinheiten der christlichen Glaubenslehre auseinandersetzen wie dieser
abgehobene und selbstverliebte Professor, das schwor sich
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