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Vogelwild

Vogelwild

Titel: Vogelwild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Auer
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in der Vergangenheit
Ansichten, die nicht ganz – wie soll ich es formulieren –, die nicht ganz mit
der wissenschaftlichen Mehrheitsmeinung übereinstimmten. Deswegen hat es
häufiger Widerspruch gegeben, sowohl von Studierenden als auch von anderen
Professoren, und solange dieser Streit nicht beigelegt war, wurde die Vorlesung
auf Weisung der Hochschulleitung ausgesetzt.«
    Morgenstern verstand nur Bahnhof, aber Hecht bohrte
nach: »Da geht es um die biblische Schöpfungsgeschichte, nicht wahr?«
    »Ja, richtig, um die Genesis. Aber die Diskussionen
sind nun, Gott sei Dank, vorbei. Professor Heine hat dem Dekanat glaubhaft
zugesichert, gewisse überholte Ansichten nicht mehr weiterzuverbreiten. Eine
Hochschule, und gerade eine katholische wie die unsrige, muss stark auf ihr
wissenschaftliches Renommee achten, wissen Sie.«
    »Aber wegen einer einzigen altmodischen Vorlesung
würde doch nicht gleich der Ruf einer ganzen Hochschule leiden«, warf Hecht
ungläubig ein.
    »O doch!«, versicherte ihm der Priester. »Wenn ein
Professor der katholischen Theologie ernsthaft lehrt, dass die Welt in exakt
sieben Tagen erschaffen wurde – und zwar im wörtlichen Sinne und mit präziser
Jahresangabe –, dann schon.«
    »Jetzt müssen wir aber wirklich gehen«, startete
Morgenstern einen letzten Versuch, sich und seinen Kollegen loszueisen. »Und
Peter, falls du es vergessen hast, vor dem Hörsaal 201 wartet
wahrscheinlich noch immer Rosa Aurich auf uns.«
    Das
stimmte so jedoch nicht ganz, denn als die beiden Ermittler an die Universität
zurückkehrten, fanden sie Rosa Aurich nicht vor , sondern im Hörsaal mit der Nummer 201
wieder. Weil weit und breit keine Sitzgelegenheit in Sicht gewesen war, hatte
sie sich schließlich einfach in Professor Heines Vorlesung niedergelassen,
dezent in einer der hinteren Reihen. Hecht und Morgenstern nahmen unter den
neugierigen Blicken von gut hundert Studenten neben der Rentnerin Platz, und
auch Professor Heine nickte ihnen kurz zu, ohne aber seinen Vortrag zu
unterbrechen. Die Vorlesung dauerte nur noch zehn Minuten und behandelte,
soweit Morgenstern es verstand, die Verpflichtung des Christen zum
Umweltschutz, ausgehend von der Aufforderung Gottes an die Menschheit, zu
wachsen und sich zu mehren und sich die Erde untertan zu machen.
    Heine war ein leidenschaftlicher und begnadeter
Redner, sodass selbst die Beamten sich eine Weile von dem Theologen fesseln
ließen, der seine Studenten in die Pflicht nahm, als halte er ein Plädoyer vor
Gericht. »Sie dürfen das Feld nicht den selbst ernannten Umweltfreunden
überlassen«, schärfte er ihnen ein. »Wir Christen haben von Gott den Auftrag
erhalten, die Schöpfung zu bewahren. Aber dafür brauchen wir keine grünen
Parteien, die glauben, sie hätten den Umweltschutz erfunden!«
    Etliche Studenten klopften als Zeichen der Zustimmung
mit den Fingerknöcheln auf die hölzernen Klapppulte, nur ganz in Morgensterns
Nähe war ein unterdrücktes »Buh« zu hören. Trotzdem blickte Heine triumphierend
über seine schmale Lesebrille.
    »Und? Haben Sie die Einbrecher verhaftet?«, nutzte
Frau Aurich die entstandene Geräuschkulisse, um endlich ihre dringende Frage an
die Ermittler loszuwerden. Obwohl um sie herum Unruhe herrschte, konnte man
ihre Stimme so laut vernehmen, als hätte sie ein Megaphon verwendet. Mehrere
Studenten drehten sich in ihre Richtung, und einer hob sogar den Zeigefinger
zum Mund und zischte: »Silentium!«
    »Leider nein«, flüsterte Hecht zurück, »aber das kommt
noch. Kommissar Morgenstern und ich werden uns jetzt den Professor vornehmen,
und Sie gehen brav alleine nach Hause.«
    In Aurich erwachten offensichtlich die bisher
schlafenden Miss-Marple-Gene: »Aber ich würde Ihnen gerne helfen, so wie
vorhin, als ich die beiden erkannt habe.«
    »Pssst!«, machte es wieder ringsum.
    Als Hecht schließlich den Kopf schüttelte, blickte die
Seniorin enttäuscht und eingeschnappt: »Ganz wie Sie meinen, Herr Kommissar.«
    Am Ende der Vorlesung, die von der überwiegenden Zahl
der Zuhörer mit klopfendem Applaus quittiert wurde, eilten die Kommissare nach
vorn ans Rednerpult, um den Professor abzufangen.
    »Wer waren die beiden Studenten, die mit Ihnen vorhin
die Treppe hochgekommen sind?«, fiel Morgenstern mit der Tür ins Haus.
    Heine lächelte betont nachsichtig. »Lassen Sie mich
einmal überlegen. Wissen Sie, es kommen immer irgendwelche jungen Leute, die
noch rasch etwas fragen oder mir auch einfach nur ihre Zustimmung

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