Volk der Finsternis - Horrorgeschichten (H. P. Lovecrafts Bibliothek des Schreckens) (German Edition)
den Erdhügel weitläufig, und Brill fiel auf, dass der alte Mexikaner das jedes Mal tat. Und an noch etwas erinnerte sich Brills träger Verstand – Lopez beschleunigte jedes Mal seine Schritte, wenn er den Hügel umging, und er passierte ihn stets vor Sonnenuntergang, obwohl die mexikanischen Hilfsarbeiter normalerweise von Sonnenaufgang bis zum letzten Licht der Dämmerung arbeiten, wenn sie pro Morgen und nicht pro Tag bezahlt werden. Brills Neugier war geweckt.
Er stand auf, schlenderte den flachen Hang hinunter, an dessen höchstem Punkt seine Hütte stand, und winkte dem erschöpften Mexikaner zu.
»Hey, Lopez, warte mal!«
Lopez hielt inne, sah sich um und blieb wenig begeistert stehen, als er den weißen Mann auf sich zukommen sah.
»Lopez«, sagte Brill gelangweilt, »es geht mich ja eigentlich nichts an, aber ich wollte dich trotzdem fragen – warum weichst du diesem alten Indianergrabhügel immer so weit aus?«
»No sabe«, grummelte Lopez nur.
»Du alter Lügner«, entgegnete Brill freundlich. »Du bist ein ganz Schlauer; dein Englisch ist genauso gut wie meins. Was ist denn los – glaubst du, dass es in dem Hügel spukt oder so?«
Brill sprach zwar Spanisch und konnte es lesen, aber wie die meisten Engländer zog er es vor, in seiner Muttersprache zu kommunizieren.
Lopez zuckte nur mit den Schultern.
»Das ist kein guter Ort, no bueno «, murmelte er und wich Brills Blick aus. »Verborgene Dinge soll man ruhen lassen.«
»Ich glaube, du hast Angst vor Gespenstern«, zog Brill ihn auf. »Was soll’s, wenn das ein Grabhügel der Indianer ist, dann sind diese Indianer schon so lange tot, dass selbst ihre Geister mittlerweile dahingeschieden sind.«
Brill wusste, dass die ungebildeten Mexikaner abergläubische Abscheu vor solchen Grabhügeln empfanden, die überall im Südwesten zu finden sind – Überbleibsel aus einer vergangenen, vergessenen Zeit, in denen die vermodernden Knochen von Häuptlingen und Kriegern eines vergessenen Volkes ruhten.
»Man sollte nicht stören, was in der Erde begraben liegt«, brummte Lopez.
»Unsinn«, erwiderte Brill. »Ich und ein paar von meinen Jungs haben einen dieser Hügel drüben in Palo Pinto ausgehoben und Skelettknochen, Perlen, Bogenspitzen aus Feuerstein und all solches Zeug ausgegraben. Ich habe ein paar von den Zähnen lange Zeit behalten, bis ich sie irgendwann verloren habe, und ich bin noch nie heimgesucht worden.«
»Indianer?«, schnauzte Lopez unerwartet barsch. »Wer spricht denn von Indianern? In diesem Land hat es nicht nur Indianer gegeben. In alten Zeiten sind hier seltsame Dinge passiert. Ich habe die Geschichten von meinem Volk gehört, wir geben sie von Generation zu Generation weiter. Und mein Volk war lange vor dem Ihrem hier, Señor Brill.«
»Ja, das stimmt«, gab Steve zu. »Die ersten Weißen in diesem Land waren natürlich die Spanier. Coronado soll nicht weit von hier vorbeigekommen sein, wie man hört, und Hernando de Estradas Expedition führte ihn auch hierher; das war vor langer Zeit, wann genau, weiß ich nicht.«
»Es war 1545«, sagte Lopez. »Sie haben ihr Lager da drüben aufgeschlagen, wo jetzt Ihre Koppel ist.«
Brill drehte sich um und sah zu seiner eingezäunten Koppel hinüber, auf der sein Reitpferd, ein paar Arbeitspferde und eine dürre Kuh standen.
»Wie kommt es, dass du so viel darüber weißt?«, fragte er neugierig.
»Einer meiner Vorfahren gehörte zu de Estradas Expedition. Ein Soldat, Porfirio Lopez; er hat seinem Sohn von dieser Expedition erzählt, der erzählte es seinem Sohn, und so erreichte mich die Geschichte nach mehreren Generationen, aber ich habe keinen Sohn, dem ich sie erzählen könnte.«
»Ich wusste nicht, dass du dich so gut auskennst. Weißt du vielleicht auch etwas über das Gold, das de Estrada hier in der Gegend versteckt haben soll?«
»Es gab kein Gold«, grummelte Lopez. »De Estradas Soldaten trugen nur ihre Waffen bei sich, und sie mussten sich durch Feindesland kämpfen – viele ließen unterwegs ihr Leben. Später – viele Jahre später – wurde ein Maultier-Treck aus Santa Fe von den Komantschen angegriffen, das Gold haben sie versteckt, um entkommen zu können; so haben sich die Erzählungen vermischt. Aber auch dieses Gold ist nicht mehr dort, weil ein paar Gringos, Büffeljäger, es fanden und ausgruben.«
Brill nickte abwesend, hörte jedoch kaum noch zu. Um keinen anderen Ort auf dem nordamerikanischen Kontinent ranken sich so viele Legenden über
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