Volk der Finsternis - Horrorgeschichten (H. P. Lovecrafts Bibliothek des Schreckens) (German Edition)
er glaubte, er könne ihn herausholen, indem er die Spitze der Hacke darunterschob und ihn aushebelte.
Mit einem Mal wurde ihm jedoch bewusst, dass die Dunkelheit ihn mittlerweile völlig umschloss. Im Licht des jungen Mondes sah alles sehr vage und schattenhaft aus. Sein Mustang wieherte leise auf der Koppel – das müde Tier ließ ein genüssliches Knirschen vernehmen, wenn es das Getreide zwischen seinen Kiefern zermalmte. Der Gesang einer Nachtschwalbe drang unheimlich aus den schwarzen Schatten entlang des schmalen, sich windenden Bachs herüber. Brill richtete sich zögernd auf. Er beschloss, sich lieber eine Laterne zu holen und bei Licht weiterzuarbeiten.
Er griff in seine Hosentasche und stellte sich dabei vor, wie er den Stein anhob und die darunter liegende Höhle mit Hilfe der Streichhölzer erkundete. Dann wurde er plötzlich stocksteif. War es nur Einbildung gewesen, oder hatte er wirklich ein leises, unheimliches Rascheln gehört, das von der anderen Seite des mächtigen Steins kam? Schlangen! Zweifellos befanden sich ihre Löcher irgendwo am Fuß des Hügels, und vielleicht hatten sich in seinem höhlenartigen Inneren ein Dutzend riesiger Diamant-Klapperschlangen zusammengerollt, die nur darauf warteten, dass er seine Hand zu ihnen hineinsteckte. Beim Gedanken daran zitterte er unwillkürlich und trat ein Stück von der Mulde zurück, die er gegraben hatte.
Es ergab keinen Sinn, blind in den Löchern herumzustochern. Nun wurde ihm bewusst, dass er in den letzten Minuten einen schwachen, faulen Geruch wahrgenommen hatte, der durch die Spalten rund um den Schlussstein herausströmte – gut, musste er zugeben, dieser Gestank konnte ebenso gut von Reptilien stammen wie von einer anderen, stinkenden Bedrohung. Er erinnerte an ein Beinhaus – in der Totenkammer waren ohne Zweifel Gase entstanden, die für die Lebenden gefährlich waren.
Steve legte seine Hacke nieder und kehrte zu seiner Hütte zurück; die unumgängliche Verzögerung ließ ihn ungeduldig werden. Er betrat die dunkle Hütte, entzündete ein Streichholz und griff nach seiner Petroleumlampe, die an einem Nagel an der Wand hing. Er schüttelte sie, stellte zufrieden fest, dass sie noch ausreichend Petroleum enthielt, und zündete sie an. Dann wandte er sich sofort wieder zum Gehen, denn er war so voller Eifer, dass er nicht einmal eine kleine Pause machte, um einen Happen zu essen. Das bloße Ausgraben des Hügels faszinierte ihn, wie es jeden fantasievollen Menschen fasziniert hätte, und der Fund der spanischen Spore hatte seine Neugier noch verstärkt.
Er eilte aus der Hütte. Die schaukelnde Laterne warf lange, verzerrte Schatten vor und hinter ihn. Er musste kichern, als er sich Lopez’ Reaktion vorstellte, wenn er am nächsten Morgen bemerkte, dass er den verbotenen Hügel ausgehoben und durchsucht hatte. Es war richtig, dass er ihn bereits heute Abend öffnete, dachte Brill; hätte Lopez Bescheid gewusst, hätte er womöglich versucht, ihn davon abzuhalten, sich daran zu schaffen zu machen.
In der verträumten Stille der Sommernacht erreichte Brill den Hügel, hob seine Laterne hoch und stieß einen entgeisterten Fluch aus. Im Licht der Laterne sah er das ausgehobene Loch und seine Werkzeuge, die er gedankenverloren hatte fallen lassen – und eine schwarze gähnende Öffnung! Der große Steinblock lag auf dem Boden vor dem Loch, so als habe man ihn achtlos zur Seite gestoßen.
Vorsichtig leuchtete er mit der Lampe in das Loch, und als er in die kleine höhlenartige Kammer blickte, hatte er keine Ahnung, was er dort sehen würde. Er sah überhaupt nichts – nur die nackten Felswände einer langen schmalen Zelle, groß genug, dass der Körper eines Menschen hineinpasste. Sie war offensichtlich aus grob gehauenen, quadratischen Steinen gebaut worden – eine sehr geschickte, solide Konstruktion.
»Lopez!«, rief Steve wütend aus. »Dieser dreckige Coyote! Er hat mir bei der Arbeit zugesehen, und als ich die Laterne holen gegangen bin, hat er sich angeschlichen und den Steinblock entfernt, und dann hat er sich alles genommen, was hier zu holen war, nehme ich mal an. Dem werde ich’s zeigen! Seine schmierige Haut werde ich ihm abziehen!«
Rasend vor Wut löschte er die Laterne und blickte über das flache, von Buschwerk bedeckte Tal – und plötzlich sah er etwas, das ihn erstarren ließ. Über den Rand des Hügels, hinter dem Lopez’ Hütte stand, huschte ein Schatten. Die dünne Mondsichel ging bereits langsam wieder
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