Volk der Finsternis - Horrorgeschichten (H. P. Lovecrafts Bibliothek des Schreckens) (German Edition)
Hass der Stadtbewohner entkommen und allen Sorgen des Lebens. Er saß da, wie wir ihn verlassen hatten, mit dem Kopf auf der Brust – irgendjemand musste in der Dunkelheit zu ihm gekommen sein. Obwohl sämtliche Knochen in seinem Leib gebrochen waren, wirkte er, als sei er ertrunken.
Dann legte sich ein grauenhafter Schrecken wie dichter Nebel über die Stadt Faring. Wir versammelten uns vor dem Lagerhaus, und alles war totenstill, bis uns entsetzliche Schreie, die von einem Haus am Rande der Stadt zu uns drangen, sagten, dass der Schrecken wieder zugeschlagen hatte. Wir eilten zum Stadtrand, doch wir fanden nur blutrote Zerstörung und Tod – und eine dem Wahnsinn nahe Frau, die uns, bevor sie starb, noch wimmernd erzählte, die Leiche von Adam Falcon sei mit furchtbaren, flammenden Augen durch das Fenster eingebrochen, um zu zerstören und zu töten. Überall im Raum lag grüner, fauliger Schleim, und am Fensterbrett hingen Fetzen von Meeresalgen.
Dann wurden die Männer von Faring von einer törichten, schamlosen Furcht erfasst, und alle flohen sie in ihre Häuser. Sie verschlossen und verriegelten die Türen und Fenster und kauerten sich mit den Waffen in ihren zitternden Händen und einem schwarzen Entsetzen in ihren Herzen zusammen – denn welche Waffe kann die Toten töten?
In dieser tödlichen Nacht schlich das Böse durch Faring und machte Jagd auf die Söhne der Menschen. Und die Menschen erschauderten und wagten es nicht einmal, aufzublicken, wenn das Krachen einer Tür oder eines Fensters davon kündete, dass der Teufel in das Haus eines weiteren Unglücklichen eindrang, und wenn bald darauf lautes Kreischen und unsinniges Gebrabbel zu hören waren, die von den grauenhaften Taten im Inneren dieses Hauses erzählten.
Dennoch gab es einen Mann, der sich nicht hinter seiner Tür verbarrikadierte, um sich wie ein Schaf abschlachten zu lassen. Ich bin nie ein tapferer Mann gewesen, und es war auch nicht etwa Mut, der mich hinaus in die furchtbare Nacht trieb. Nein, es war die Kraft eines Gedankens, der in mir geboren wurde, als ich auf das tote Gesicht von Michael Hansen starrte. Der Gedanke hatte etwas sehr Vages, Unwirkliches, etwas Schwebendes und beinahe Greifbares – aber nur beinahe. Er verbarg sich irgendwo in den hintersten Winkeln meines Verstandes, und ich konnte nicht eher ruhen, bis ich beweisen oder widerlegen konnte, was ich noch nicht einmal als konkrete Theorie zu formulieren vermochte.
So schlich ich also, mit wirren Gedanken und ziemlich durcheinander, vorsichtig durch die Schatten. Vielleicht hatte die See, befremdlich und wankelmütig selbst jenen gegenüber, die zu ihren Auserwählten zählten, mir etwas ins Unterbewusstsein geflüstert und die Ihren dadurch verraten. Ich weiß es nicht.
In diesen dunklen Stunden strich ich am Strand umher, und als im ersten grauen Licht der Morgendämmerung eine teuflische Gestalt auf das Ufer zuging, erwartete ich sie dort.
Allem Anschein nach war es Adam Falcons Leiche, die auf entsetzliche Weise wieder zum Leben erweckt worden war, und mir nun im grauen Zwielicht gegenübertrat. Ihre Augen waren geöffnet. Es schimmerte ein kaltes Licht in ihnen, in dem sich die Untiefen der Meereshölle widerzuspiegeln schienen. Da wusste ich, dass es nicht Adam Falcon war, der mir dort gegenüberstand.
»Meeresdämon!«, brachte ich mit zitternder Stimme hervor. »Wie du das Aussehen von Adam Falcon annehmen konntest, weiß ich nicht. Ich kann nicht sagen, ob sein Schiff auf einen Felsen gelaufen ist, ob er über Bord gegangen ist oder ob du über die Planke und über die Reling geklettert bist und ihn von seinem eigenen Boot geworfen hast. Ich habe auch keine Ahnung, durch welchen faulen Meereszauber es dir gelungen ist, dein teuflisches Aussehen so zu verändern, dass du ihm ähnelst.
Aber eines weiß ich. Adam Falcon hat tief unter den blauen Fluten seinen Frieden gefunden. Du bist nicht er. Ich habe es erst vermutet – jetzt weiß ich es. Dieser Schrecken ist vor unendlich langer Zeit auf die Erde gekommen – vor so langer Zeit, dass die Menschen die Erzählungen alle längst vergessen haben, außer Menschen wie ich, die von den anderen Narren genannt werden. Ich kenne sie, diese Erzählungen, und weil ich sie kenne, fürchte ich dich nicht – und werde dich jetzt töten. Denn auch wenn du kein Mensch bist, kannst du doch von einem Menschen getötet werden, der dich nicht fürchtet – selbst wenn derjenige noch sehr jung ist und als verrückter
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