Volk der Finsternis - Horrorgeschichten (H. P. Lovecrafts Bibliothek des Schreckens) (German Edition)
innerlich um und schlägt hohe Wellen, bis sich diese Bewegung auch körperlich zeigt und ich im Traum hin und her schwanke. Das Gefühl ist nicht jedes Mal dasselbe, aber ich sage euch, wenn dieses Grauen jemals seine widerliche Gestalt erhebt und mich verächtlich angrinst, wenn ich dieses schauerliche Ding jemals in einem Traum sehe, werde ich ganz gewiss auf der Stelle völlig wahnsinnig werden.« Wir Umstehenden wurden von allgemeiner Unruhe erfasst.
»Bei Gott! Wenn das keine tollen Aussichten sind!«, murmelte er. »Dem Wahnsinn verfallen und stets denselben Traum durchleben zu müssen, Tag und Nacht! Ich stehe also dort, und die Jahrhunderte ziehen an mir vorbei, bis sich endlich ein schwaches graues Licht durch die Fenster stiehlt, das Rascheln in der Ferne verstummt und mit einem Mal eine rote, ausgezehrte Sonne im Osten über den Himmel klettert. Ich drehe mich um, schaue in einen Spiegel – und sehe, dass mein Haar völlig weiß geworden ist. Ich stolpere zur Tür, reiße sie auf. Ich kann nichts erkennen, nur eine breite Spur, die vom Bungalow den Hügel hinunter und weiter über das Weideland führt – sie verläuft in entgegengesetzter Richtung zu dem Weg, der mich an die Küste führen würde. Mit einem kreischenden, wahnsinnigen Lachen rase ich den Hügel hinunter und über das Weideland. Ich renne, bis ich vor Erschöpfung zusammenbreche, und bleibe so lange liegen, bis ich mich wieder aufrappeln und weiterrennen kann.
So renne ich den ganzen Tag, und angetrieben von dem Schrecken hinter mir, setze ich übermenschliche Kräfte frei. Jedes Mal, wenn ich auf schwachen Beinen zu Boden stürze oder im Gras liege und keuchend nach Luft ringe, blicke ich mit entsetzlicher Anspannung zur Sonne empor. Wie schnell die Sonne doch wandert, wenn ein Mann um sein Leben rennt! Es ist ein verlorenes Rennen – das wird mir bewusst, als ich die Sonne hinter dem Horizont verschwinden sehe und die Hügel, die ich vor Sonnenuntergang erreichen muss, noch immer so weit entfernt scheinen wie zuvor.«
Seine Stimme wurde leiser, und instinktiv beugten wir uns zu ihm nach vorne. Er hielt die Armlehnen umklammert, und wieder tropfte Blut von seiner Lippe.
»Dann geht die Sonne unter, die Schatten kriechen über das Land, und ich stolpere und falle, richte mich wieder auf und renne immer weiter. Und ich lache, lache, lache! Aber plötzlich verstumme ich, denn der Mond geht auf und verleiht der Szenerie einen geisterhaften, silbernen Glanz. Weißes Licht fließt über das weite Land, auch wenn der Mond selbst blutrot ist. Ich blicke zurück auf den Weg, der hinter mir liegt, und ganz … weit …« – wir lehnten uns alle noch etwas weiter vor, und uns stellten sich die Haare auf, als er mit einem geisterhaften Flüsterton fortfuhr – »sehr weit … weg … sehe … ich … wie … eine … Welle … durch … das … Gras … wandert. Es weht kein einziges Lüftchen, und dennoch wird das hohe, wogende Gras, das im Mondlicht glänzt, in der Ferne von einer schmalen, sich schlängelnden Linie geteilt, die mit jedem Augenblick näher kommt.« Seine Stimme erstarb.
Irgendjemand durchbrach schließlich die Stille: »Und dann …?«
»Dann wache ich auf. Noch nie habe ich das widerliche Scheusal gesehen. Aber das ist der Traum, der mich heimsucht und von dem ich immer wieder erwache – als Kind mit einem Schrei, als Mann in kalten Schweiß gebadet. Ich träume ihn in unregelmäßigen Abständen, und jedes Mal, in letzter Zeit …«
Er zögerte kurz und sprach dann weiter: »In letzter Zeit kommt das Ding jedes Mal näher – immer näher –, ich erkenne es an den Wellen im Gras. Mit jedem Traum kommt es mir näher. Wenn es mich erst erreicht hat, dann …«
Hier brach er ab, erhob sich ohne ein weiteres Wort und ging ins Haus. Wir anderen saßen für eine Weile schweigend da, dann folgten wir ihm, denn es war spät geworden.
Wie lange ich geschlafen habe, weiß ich nicht, aber ich erwachte plötzlich und bildete mir ein, irgendwo im Haus ein Lachen gehört zu haben – das lange, laute, entsetzliche Lachen eines Geisteskranken. Während ich aufstand, fragte ich mich, ob ich vielleicht nur geträumt hatte, doch als ich aus dem Zimmer eilte, hallte ein wahrhaft grauenvoller Schrei durch das Haus. Mittlerweile wimmelte es im Flur nur so, denn die anderen waren ebenfalls erwacht, und gemeinsam rannten wir zu Famings Zimmer, aus dem der Schrei gekommen zu sein schien.
Faming lag tot auf dem Boden. Es sah aus, als sei
Weitere Kostenlose Bücher