Volk der Verbannten
Kinder - zu ihnen gestoßen waren. Sie waren Sklaven der Meriniden gewesen und hatten das Gebirge an der Südseite umgangen, angelockt von dem Gerücht, dass Ayesha ihr Volk »über die Berge« geführt hätte.
Es waren die ersten Meriniden-Sklaven, die sich ihnen anschlossen, und sie waren überwiegend in guter Verfassung: Sie waren im Familienverband gereist, und die Männer waren wild und kampfbereit. Mindestens dreißig Krieger, die zu den etwa hundert tauglichen und zum Teil bewaffneten Männern stoßen konnten, die es im Lager schon gab. Halian hatte die fünf charismatischsten ausgewählt, sie zu »Truppenführern« ernannt und zum »Kriegsrat« mitgebracht. Marikani hatte an die Kriegsräte denken müssen, die sie mit Harrakin am Rande der
wenigen Schlachten abgehalten hatte, an denen sie teilgenommen hatte - Schlachten, deren günstiger Ausgang im Voraus so gut wie feststand. Man setzte die Erbin der Zaubererkönige von Harabec keiner Gefahr aus. Die Kriegsräte: das große Zelt aus purpurner Seide, das mit dem Wappen von Harabec bestickt war, die aufrechten, würdevollen Offiziere mit ihren stählernen Rüstungen und glänzenden Waffen; die Gesänge der Soldaten vor dem Zelt, die ihre Waffen polierten und Lieder zu Ehren des Arrethas summten.
Hier drang der eisige Wind durch Löcher in der Leinwand des Zelts, und die »Offiziere« trugen Lumpen.
»Man muss bedenken, dass die bedeutendsten Karawanen ihre Handelsgüter nicht im Innern der Freien Städte abladen«, fuhr sie fort, während die Männer sie mit Blicken verschlangen, aus denen Ergebenheit und gläubige Ehrfurcht sprachen. »Die Stadttore sind manchmal viel zu überlaufen, so dass man Stunden, wenn nicht gar Tage warten muss, um Weg- und Einfuhrzölle zu begleichen. Die einflussreichsten Kaufleute sind nicht bereit, sich diesen Spielregeln zu unterwerfen, ganz abgesehen davon, dass manchmal gar nicht alle Waren einer Karawane für ein und dieselbe Stadt bestimmt sind.«
Zu kompliziert , begriff Marikani, als sie ihre Männer ansah. Ihre Rede war zu komplex. Das Vokabular, der Stil … Mindestens zwei der »Offiziere« kamen nicht mehr mit, das sah sie an ihren Blicken. Manche dieser Sklaven hatten bis zu ihrer Flucht nie die Orte, an denen sie geboren waren, verlassen: Bauernhöfe, Bergwerke und Manufakturen …
Sie holte tief Luft. Gleichgültig, ob sie verstanden oder nicht, Halian würde es ihnen schon erklären. Nur
ihr Tonfall war wichtig und die Entschlossenheit, die sie ihnen vermitteln konnte.
»Außerdem laden einige Händler einen Teil ihrer Fracht in den sogenannten Handelshöfen ab, die an den Kreuzungen der wichtigsten Landstraßen liegen. Ein Teil der Bezahlung erfolgt schon dort, auch die Auswahl unter dem größten Teil der Ware. Die Ladenbesitzer aus den Städten kommen manchmal direkt dorthin, um sich einzudecken.« Marikani begegnete dem leeren Blick eines der Ayhâssi und seufzte. »Kurz und gut, der Handelshof zum Schwarzen Felsen, der drei Freie Städte, darunter auch die Weiße Stadt, versorgt, liegt sieben Meilen südlich von hier. Zu dieser Jahreszeit sollte er voll sein.«
»Was ist mit den Wachen?«, fragte Halian.
Marikani hatte das Gefühl, dass er sich den Angriff schon ausmalte, und nickte. »In Friedenszeiten sind dort nur etwa fünfzehn Mann postiert. Die Gegend ist ruhig, und es hat hier schon lange keinen Krieg mehr gegeben, seit …« Sie machte eine vage Handbewegung. »Seit sehr langer Zeit. Die Situation im Westen könnte uns sogar nützen: Die Freien Städte müssen ihre Truppen an der Westgrenze zusammenziehen und einen Großteil der verfügbaren Männer dorthin schicken. Vielleicht erleben wir eine angenehme Überraschung.«
Eine neue Stimme erklang: »Oder eine böse, wenn sie damit rechnen, dass wir hier sind. Schließlich haben wir euch gefunden, indem wir den Gerüchten gefolgt sind. Und das Gerücht können auch unsere Feinde leicht gehört haben.«
Marikani musterte den Mann, der eben gesprochen hatte. Er war gedrungen und muskulös und hatte braunes Haar und einen kurzen Bart. Dank seiner Hautfarbe hätte
er fast für einen freien Mann durchgehen können, wenn das sehr helle Blau seiner Augen ihn nicht verraten hätte.
»In der Tat. Wie heißt Ihr?«
»Bara, o Ayesha. Ich stamme aus Massevina.«
Massevina war die Hauptstadt eines der wichtigsten merinidischen Landstriche.
»Habt Ihr eine militärische Ausbildung erhalten, Bara?«
Der Mann zuckte mit den Schultern. »Ich habe schon
Weitere Kostenlose Bücher