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Volk der Verbannten

Titel: Volk der Verbannten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ange Guéro
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Schattens, in dem sich eine ungewöhnliche Höhlung verbergen mochte, und gab dann auf. Welche Rolle spielte das schon? Das war das Ironische an ihrer Folterung: Es gab kein Geheimnis, das sie hätten enthüllen können - zumindest keines, das ihren Feinden wirklich genützt hätte.
    »Lionor, Ihr verratet nichts und niemanden«, wiederholte er. »Wenn wir noch nicht tot sind, dann nur, weil wir ihnen nützlich sein können. Wenn wir ihnen nützlich sein können, dann heißt das, dass Marikani auch noch nicht
tot ist, dass sie vielmehr frei ist … irgendwo da draußen in der Wildnis mit einer Truppe aufständischer Sklaven. Ihr ist es völlig gleichgültig, was wir über ihre Kindheit oder über den Hof von Harabec erzählen. Nichts, was ich sagen könnte, kann ihr schaden. Wenn sie hier wäre, würde sie Euch befehlen zu reden.«
    »Ihr habt Euch geweigert«, sagte Lionor, ohne ihn anzusehen. Sie wiegte sich noch immer. »Ihr habt Euch geweigert, ihr abzuschwören.«
    Und Arekh seufzte in den Schatten hundert Fuß unter den Straßen von Reynes, tief unterhalb des Lebens und der Freiheit begraben.
    Marikani hatte vor sehr, sehr langer Zeit einmal etwas zu ihm gesagt …
    » ›Logik und Menschlichkeit gehen nicht immer Hand in Hand.‹ Aber ich werde ihnen von morgen an geben, was sie wollen. Wenn ich diesen Narren damit eine Freude machen kann, abzuschwören, dann täte es mir leid, ihnen diese Freude vorzuenthalten. Das wird niemanden etwas kosten.«
    »Feigling«, zischte Lionor; ihre abgemagerten Gliedmaßen zitterten vor Wut. » Feigling! Ich wusste ja, dass Ihr sie nicht wirklich liebt, ich wusste es …«
    Ihre Stimme brach, als sei sie am Ende ihrer Kräfte. In ihren Armen begann das Kind zu husten. Es war ein leiser, trockener, schrecklicher Husten, der Arekh stärker wehtat als alle Peitschenhiebe. Lionor wiegte das Kind von neuem und wartete darauf, dass es sich beruhigte.
    »Feigling«, sagte sie am Ende noch einmal.
    Arekh lachte leise. »Das ist keine Feigheit, Lionor«, sagte er sanft. »Das ist Hoffnung. Wenn ich feige wäre, würde ich ihnen morgen ins Gesicht spucken. Ich würde
meine Ketten packen und versuchen, einen der Wachsoldaten zu erwürgen, damit ein zweiter reagiert und mich mit einem Schwerthieb tötet. Dann hätte mein Leid ein Ende.«
    »Das solltet Ihr tun«, grollte Lionor. »Dann würdet Ihr wenigstens nicht diejenige verraten, die Euch so viel geschenkt hat und …«
    »O ja, sie hat mir so viel geschenkt«, sagte Arekh und lachte erneut, denn es schien ihm, als ob er gar nicht anders konnte - doch sogar das Lachen schmerzte, und er hörte wieder auf. »Sie hat mir das Recht geschenkt, mich hier wiederzufinden. Lionor, erinnert Ihr Euch noch, wie oft ich Marikani vorgeworfen habe, mich gerettet zu haben? Mîns Leben unnötig verlängert zu haben, weil er so doch nur ein paar Tage länger gelitten hat?«
    Lionor sagte nichts, und Arekh fuhr fort: »Zumindest eines ist ihr gelungen.« Er wusste nicht, ob er darüber verbittert war oder nicht. »Ich bin nun demselben Wahnsinn anheimgefallen. Ich glaube, dass man leben muss, Lionor, selbst wenn es nur einige Stunden zusätzlichen Leids bedeutet. Man muss zu leben versuchen.«
     
    Im Dunkel der Zelle hatte dieser Satz sehr theatralisch geklungen, aber in den folgenden Tagen vergaß Arekh mehrfach beinahe seine Entschlossenheit. Er hatte geredet und alles erzählt, was Vernard, der Seelenleser, über Harabec und Marikani wissen wollte. Gelegentlich hatte er die Wahrheit sogar ausgeschmückt. Manchmal trieben ihn die Schmerzen fast in den Wahnsinn.
    Am dritten Tag beehrte Laosimba es Verityu von Meslore, der Gesegnete des Fîr, in einen schweren grauen Pelzmantel mit Silberstickereien gehüllt, den Gemarterten
mit seinem Besuch. Arekh erfand für ihn mit einem Talent, um das selbst die Geschichtenerzähler am Hofe von Kiranya ihn beneidet hätten, ein farbenfrohes Märchen, das Laosimba erfreute und Vernard die Stirn runzeln ließ. Vor Schmerzen röchelnd - mittlerweile versengten sie ihn mit glühenden Eisen und glimmenden Holzstücken - warf Arekh sich in eine unzusammenhängende Erzählung, redete von Gestalten aus den Abgründen, die um Marikani herumtanzten, von dem purpurnen Licht, das am Morgen aus ihren Augen strahlte, von Opfern zum Frühstück und Kannibalismus, von Orgien und Trancezuständen, in denen sie in einer unverständlichen, barbarischen Sprache redete.
    Laosimba ging befriedigt wieder, und Arekh ließ sich nach

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