Voll auf Ex-Kurs Roman
Unglaubliches ist passiert«, beginne ich mit meinem Bericht. »Jens hat Barbara verlassen, er hat sich in eine andere Frau verliebt.«
»Was?« Philip klingt regelrecht schockiert. »Das kann doch gar nicht sein!« Ich nicke zustimmend, obwohl er das ja gar nicht sehen kann.
»Ist aber so. Sie kam eben mitten ins Shooting geplatzt, hat geweint und uns allen davon erzählt.«
»Aber warum denn?«, fragt Philip nach. »Und wieso? Wie kann denn das …«
»Genaueres weiß ich auch nicht, wir hatten noch keine Zeit, länger darüber zu reden.«
»Wo ist sie denn jetzt? Wie geht’s ihr?« Ich seufze.
»Im Moment ist sie unten im Studio. Hat meinen Job als Liebeskummer-Opfer übernommen und macht an meiner Stelle die Fotos.«
»Oh. Warum das denn?«
»Schätze, sie hat dem Kunden schlicht und ergreifend von Anfang an besser gefallen als ich. Und nachdem sie nun unverhofft auch die Authentizitäts-Voraussetzung erfüllt, tja, da bin ich als Testimonial eben raus.«
»Das tut mir leid für dich.«
»Muss es nicht. Bin eigentlich ganz froh, der Fotograf hat mich die ganze Zeit nur angeschrien, ich hab für so was wohl
doch kein Talent.« Es knackt in der Leitung. »Philip?«, rufe ich. »Bist du noch da?«
»Die Verbindung ist ganz schlecht«, kommt seine Stimme robotermäßig aus der Leitung. »Ich bin in fünf Minuten zu Hause, dann rufe ich dich vom Festnetz aus an.«
»Okay.«
Eigentlich gehört Philip nicht zu den Menschen, die eine Art kreatives Zeitempfinden haben. Aber nach einer Stunde frage ich mich dann doch, was er unter »fünf Minuten« versteht. Ich rufe ihn zu Hause an. Es ist besetzt. Immerhin, er lebt und telefoniert nur. Ich warte weitere zwanzig Minuten, dann versuche ich es noch einmal. Die Leitung ist frei, und es klingelt.
»Hallo?«
»Ich bin’s. Du wolltest mich doch noch mal anrufen.«
»Äh, ja, das wollte ich«, stottert Philip und wirkt dabei, als sei er komplett von der Rolle.
»Ist was passiert?«, will ich wissen. »Du klingst so komisch.«
»Nein, nein«, versichert er eilig. »Es ist nur … die Sache mit Barbara und Jens hat mich ganz schön umgehauen. Und jetzt kommt auch noch Riesenärger mit einem Autor dazu.«
»Was ist denn los?«
»Ach, äh, nur das übliche Rumgezicke, nicht weiter spannend. Aber ich muss mich darum jetzt kümmern, wahrscheinlich muss ich nachher sogar nach Köln fahren, um ihn zu beruhigen.«
»Klingt ja dramatisch«, meine ich.
»Ist es eigentlich auch, aber ich werd das schon wieder hinbiegen.«e
»Bestimmt«, bestärke ich ihn, »mit deiner ruhigen und sachlichen Art wirst du die Wogen sicher wieder glätten können.«
»Hm, ja, ich hoffe es.« Ich höre ihn im Hintergrund rascheln.
»Jedenfalls, äh, muss ich mich jetzt noch um ein paar Sachen kümmern, wir müssen unseren Plausch vertagen. Und, ja, mit Laufen wird es dann heute Abend wohl auch nichts werden.«
»Mach dir keine Gedanken, dann trabe ich halt allein los.«
»Gut. Äh, ja, bis dann.« Klick. Er hat aufgelegt. Huch! So neben der Spur habe ich ihn ja noch nie erlebt, selbst bei unserer Trennung war er gefasster. Muss wohl wirklich ein wichtiger Autor sein, wenn Philip so dermaßen die Fassung verliert. Hoffe bloß, er kriegt das alles wieder hin.
Nachdem momentan keine dringenden Sachen anliegen, die heute noch erledigt werden müssten, beschließe ich, wieder runter ins Studio zu gehen. Vielleicht kann ich Barbara ein bisschen Unterstützung leisten, ist für sie mit Sicherheit auch nicht leicht, in ihrem Zustand ein Shooting durchzuziehen, bei dem sie zwar traurig, aber auch sexy aussehen soll. Ich weiß, wovon ich rede.
Ist nicht alles eine Illusion?
Im Studio finde ich einen hochzufriedenen Fotografen, einen ebenso zufriedenen Chef und zwei noch viel zufriedenere Kunden vor. Zu viert haben sie sich um das Notebook von Mike versammelt und betrachten offenbar die ersten Motive von Barbara. Patrizia hockt mit dem Foto-Assistenten hinten in der Ecke und plaudert angeregt mit ihm. Nur das Model selbst kann ich nirgends entdecken.
»Wo ist denn Frau Kerstens?«, will ich wissen.
»Hinten in der Maske«, antwortet mein Chef, ohne seinen Blick vom Monitor abzuwenden. »Ihr Telefon hat geklingelt, und wir machen eine kurze Pause.«
»Scheint ja gut zu laufen«, stelle ich – nicht ganz ohne einen Anflug von Neid – fest. Ich ernte lediglich schweigendes Nicken. »Ich seh mal nach ihr.«
»Okay«, kommt es im Chor zurück.
Ich verlasse das Studio und marschiere
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