Voll daneben
nicke.
Der einzige freie Tisch steht vorne am Fenster, also setze ich mich da hin. Da der Unterricht noch nicht angefangen hat, nehme ich mir Darleen zum Vorbild und stelle Direktor Mallek eine Frage.
»Unterrichten Sie dieses Fach immer?«
»Wie bitte?«
Plötzlich wird es ganz still im Klassenzimmer. Als ich vor ein paar Sekunden die Frage gestellt habe, unterhielten sich die anderen noch und packten ihre Schulbücher aus ... aber jetzt sitzen alle still da. Während alle Augenpaare auf mich gerichtet sind, ordne ich meine Stifte neu.
»Ich meine nur, weil Sie doch der Schulleiter sind und so – ich wusste nicht, dass Sie auch Lehrer sind. Ich meine, ob Sie auch die Lehrerausbildung gemacht haben, die Sie dazu qualifizieren würde, Chemie zu unterrichten, oder ...«
Die Worte kommen irgendwie nicht richtig rüber.
Direktor Malleks Gesicht läuft knallrot an. Es fängt an seinem Hals an und steigt hinauf bis zur Schädeldecke seines winzigen kahlen Kopfes.
Shit. Shitshitshitshitshit.
»Ich wollte nicht ...«
Direktor Mallek schluckt schwer. »Mr Geller, an Ihrer Stelle würde ich mir Gedanken über Ihre Noten machen. Und nicht über meine Qualifikationen.«
Jetzt fangen ein paar Schüler an, schallend zu lachen. Direktor Mallek holt ein Blatt Papier heraus, kommt zu mir und knallt es mir auf den Tisch.
»Der Rest der Klasse hat gestern diesen Vortest gemacht.« Jetzt wirkt er völlig nüchtern, doch seine Augen sprühen Funken. »Schreiben Sie oben Ihren Namen hin. Sie haben für den Test einige Minuten Zeit, und er zählt zur Note. Da ich davon ausgehe, dass Sie Chemie bestehen mussten, um die zwölfte Klasse zu erreichen, dürfte er nicht schwer für Sie sein. Und die anderen schlagen bitte Seite acht auf.«
Ich starre auf das Blatt. Mir wird schlecht bei Tests, für die ich nur ein paar Minuten Zeit habe. Außerdem habe ich Chemie nur mit einer Drei Minus bestanden, die eigentlich eine Vier geworden wäre, wenn ich nicht mit einem Mitschüler, den ich dafür bezahlt habe, für den letzten Test gelernt hätte. Ich schaue auf das Blatt, aber mein Gehirn ist leer und alle Testfragen verschwimmen vor meinen Augen. Direktor Malleks Stimme hallt in meinen Ohren und lenkt mich ab, und ich frage mich, wie Darleen wohl über mich denken wird, wenn sie merkt, wie dumm ich bin.
Dann gerate ich in Panik. Ich denke daran, dass jedes Ereignis das nächste beeinflusst – dass ich diese Testfragen falsch beantworten werde, was bedeutet, dass ich den Test vermassle, was bedeutet, dass ich in Chemie durchfallen werde, und wenn ich in diesem Fach durchfalle, könnte ich in der Schule durchfallen, und dann werde ich nie einen Job bekommen und als Obdachloser enden.
Die einzigen Buchstaben, die nicht verschwommen sind, sind H 2 O, also schreibe ich das Wort ›Wasser‹. Dann starre ich auf die Uhr und frage mich, wie viele Minuten mir noch bleiben.
»Die Zeit ist um«, sagt Direktor Mallek und beugt sich über mich.
Was ? Die Zeit kann noch nicht rum sein. Hätte ich gewusst,dass es ein so kurzer Vortest ist, dann hätte ich nicht die ganze Zeit damit vergeudet, die Minuten zu zählen. Direktor Mallek nimmt das Blatt und trägt es nach vorne ans Pult.
»Dann wollen wir mal sehen, welche beeindruckenden Dinge unser neuer Schüler uns heute liefert«, sagt er. »Hmmm. Sieht so aus, als hätte er genau eine Frage beantwortet. Die Frage lautet: ›Welche chemischen Elemente verbinden sich zu H 2 O?‹ und Mr Gellers Antwort lautet: ›Wasser‹.«
Die Klasse kichert, und ich sinke auf meinem Stuhl noch mehr zusammen.
»Sehr intelligent, Mr Geller«, sagt Direktor Mallek. Er kommt zu mir und stellt sich direkt vor mich. »Ich will Ihnen etwas sagen. In dieser Schule gibt es nichts umsonst. Sie werden hier keine ruhige Nummer schieben. Ich erwarte von Ihnen, dass Sie hart arbeiten, und wenn ich merke, dass Sie das tun, werde ich mit Ihnen zusammenarbeiten. Aber wenn Sie glauben, Sie können hier sitzen und sich das ganze Jahr schlecht benehmen, sollten Sie das noch mal überdenken.« Er lässt das Blatt auf meinen Tisch fallen und wendet sich ab.
»Gut, Klasse, schlagt jetzt Seite zehn auf.«
Der erste Tag, die erste Stunde – das ging voll daneben.
15
NACH DER CHEMIESTUNDE VERLÄUFT ALLES WIE IM NEBEL. Ich ziehe Französisch IV, Rechtskunde und Gesundheitslehre durch, aber mein Gehirn hat sich ausgeschaltet. Draußen auf dem Flur begrüßen mich Mitschüler und stellen sich vor. Ein Mädchen namens Jen macht
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