Voll daneben

sich die Mühe, mich in der Schule willkommen zu heißen, und zwei Schüler – Joe und Nikki – bieten mir an, sich beim Mittagessen in der Cafeteria an ihren Tisch zu setzen, aber ich denke die ganze Zeit nur daran, dass ich alles vermasselt habe.
    Es wird noch schlimmer. In Mathe kann ich genau in dem Moment nicht mehr klar denken, in dem der Lehrer mich bittet, vorne an der Tafel eine Aufgabe zu lösen, und in Wirtschaftslehre glaube ich, den Tag retten zu können, indem ich alle mit meinem großen Wissensschatz über die Weltbank beeindrucke, aber ich bringe alles durcheinander. Ich dachte, ich könnte die Weltbank definieren, weil Dad beruflich viel mit Schulden der Dritten Welt zu tun hat, aber die traurige Wahrheit ist, dass er sie mir nie richtig erklärt hat. Wie kommt es, dass mein Vater landesweite Vorlesungen über diese Dinge halten kann, während ich sie noch nicht einmal definieren kann?
    Langsam werde ich hundemüde, und dann verlaufe ich mich auf dem Weg zu meiner letzten Schulstunde und ende im Probenraum des Schulchors. Wahrscheinlich würde ich es noch rechtzeitig zum Unterricht schaffen, wenn ich rennen würde, aber mittlerweile denke ich Vergiss es . Also lasse ich mir Zeit und betrete ungefähr vier Minuten zu spät das offene Klassenzimmer Nr. 12. Ich tue so, als würde ich meinen Stundenplan lesen, als hätte ich ihn die ganze Zeit über eifrig studiert oder so was Ähnliches, und als wäre das der Grund, warum ich zu spät komme. Deswegen schaue ich beim Eintreten nicht gleich auf.
    »Ich habe mich irgendwie verlaufen, aber ich habe meinen Stundenplan hier, und ich verspreche, dass es nie wieder vorkommt –«
    Dann hebe ich den Kopf und reiße vor Staunen den Mund auf. Vor meiner Englischklasse steht Orlando. Ich werfe einen Blick auf die Nummer an der Tür des Klassenzimmers, weil ich jetzt wirklich denke, mich im Stundenplan vertan zu haben, aber das hier ist tatsächlich der richtige Raum. Auf meinem Stundenplan steht Englisch IV   – Mr DeSoto . Offensichtlich ist das Orlando.
    Er kommt zu mir und nimmt mir den Stundenplan aus der Hand.
    »Liam«, sagt er.
    Ich bleibe wie erstarrt stehen. Wie konnte es passieren, dass niemand daran gedacht hat, mir zu sagen, dass Orlando Englisch in der Oberstufe unterrichtet? Es wurde zwar erwähnt, dass er Englischlehrer an der Highschool ist, aber woher sollte ich wissen, dass er Englisch in der Abschlussklasse unterrichtet? Es sei denn, er ist hier der einzige Englischlehrer ...
    »Du kannst dich vorne hinsetzen«, sagt Orlando. »Wir üben gerade Aufsatzschreiben, also bring von jetzt an etwas zum Schreiben mit, aber für heute kann dir jemand Papier und einen Stift leihen. Jen, macht es dir etwas aus, ihm ein paar Zettel zu geben?«
    Orlando klopft dabei mit dem Knöchel auf einen leeren Schreibtisch, aber meine Beine sind bleischwer. Ich kann doch nicht beim Freund meines Onkels Englischunterricht nehmen! , denke ich. Wiesoll ich mich bloß verhalten? Soll ich so tun, als wären wir uns noch nie begegnet? Soll ich ihn begrüßen?
    Zögernd gehe ich an der ersten Reihe vorbei und setze mich auf den Stuhl, den Orlando mir zuweist. Er wendet sich wieder der Klasse zu.
    »Gut«, sagt er. »Wie ich schon sagte, haben wir gestern darüber gesprochen, wie man einen persönlichen Aufsatz für die Bewerbung am College verfasst. Heute sollt ihr einen Übungsaufsatz schreiben. Ich habe mir für diesen ersten Aufsatz ein ziemlich allgemeines Thema ausgedacht – etwas, das ihr alle schon tausend Mal gemacht habt. Also schreibt mindestens zwei Seiten darüber. Ihr dürft euch Zeit lassen, aber ich möchte, dass ihr eure Texte am Ende der Stunde abgebt.« Orlando geht an die Tafel und schreibt: Das schönste Erlebnis des ganzen Sommers war für mich ...
    Oh Shit.
    Über dieses Thema kann ich auf gar keinen Fall schreiben. Mein Sommer war der Horror. Es gab kein schönes Erlebnis. Als Erstes wurde ich zu Hausarrest verdonnert, und Mom wollte mich zu einer Modenschau nach Mailand mitnehmen, aber Dad hat es verboten. Ich hörte sogar, wie sie sich deswegen gestritten haben und er sagte: »Es lohnt sich nicht, sich so viel Mühe zu machen, nur um Liam mitzunehmen.«
    Ich muss mir was einfallen lassen, also schreibe ich: »Das schönste Erlebnis des ganzen Sommers war für mich die Party bei Mike.« Dann streiche ich den Satz wieder durch, weil ich mich in Wirklichkeit auf der Party volllaufen ließ, und mit Andrea geschlafen habe, die später allen