Voll daneben
»Warum? Und nur dass du es weißt: Ich bin kein jugendlicher Krimineller.« Ich überlege, ob ich ihr die ganze elende Story, warum ich hier gelandet bin, erzählen soll. Dann überlege ich es mir anders. »Es stimmt auch nicht, dass ich nirgendwo anders hin könnte. Ich habe selbst darum gebeten, bei T– Onkel Pete zu wohnen.«
Darleen zuckt die Achseln. »Ist doch egal.«
Sie zeichnet weiter. Jetzt fügt sie der Bleistiftzeichnung von Petes alten Stiefeln, die neben den Stufen stehen, Kohlestriche hinzu. Ich kann nicht umhin, ihr gebannt zuzusehen. Sie verwandelt die alten, ausgebeulten Stiefel in faszinierende Objekte.
»Sieht gut aus«, sage ich.
»Danke«, sagt sie, aber es klingt desinteressiert.
Ich warte eine ganze Weile ab, ohne noch etwas zu sagen. Irgendwann halte ich es nicht mehr aus.
»Es ist cool, dass wir ein paar Fächer zusammen haben – findest du nicht auch? Ich meine, heute ist es zwar nicht so gut gelaufen, aber ...«
»Ich versuche, mich zu konzentrieren«, unterbricht sie mich scharf. »Wenn du hier sitzen bleiben willst, dann möchte ich dich nicht daran hindern. Aber beanspruche bitte nicht den ganzen Tisch für dich.«
Die Art, wie sie das äußert, erinnert mich an die Art, wie Dad sagt: »Ich habe keine Zeit, Liam.« Also denke ich: Na schön, vergiss es.
»Vielleicht sollte ich reingehen«, drohe ich ihr. In der Erwartung, dass sie ein schlechtes Gewissen bekommt und mich zurückruft, mache ich einen Schritt auf die Tür zu. Als sie nichts tut, drehe ich mich um und sehe sie wütend an. »Weißt du«, sage ich, »ich brauche keine gute Tat von dir, aber manchmal sind Leute zu anderen Leuten nett, die noch neu sind, einfach ... na ja, einfach weil sie vielleicht ein paar Freunde gebrauchen könnten.«
Als Reaktion erwarte ich von ihr einen schuldbewussten Blick, aber stattdessen fängt sie an zu kichern. Dann lacht sie laut übermeine zornigen Worte. Schließlich hört sie auf zu lachen und sieht mich an.
»Irgendwie«, sagt sie, »kann ich mir nicht vorstellen, dass du dich lange einsam fühlen wirst. Du siehst aus wie diese Typen, die Werbung für Unterwäsche machen.«
Sie sagt das, als sei es etwas Schlechtes.
»Und hab ich nicht gesehen, wie du dich heute mit Pinevilles Powerpaar Joe und Nikki auf dem Flur unterhalten hast? War es nicht Jen, die Leiterin der Cheerleader, die dir bei der Suche nach deinen Klassenzimmern geholfen hat? Und wenn ich mich nicht irre, hing auch eine Gruppe von Mädchen vor deinem Schließfach herum und nannte sich das Empfangskomitee von Pineville, oder? Ich habe noch eine Neuigkeit für dich: Pineville hat kein Empfangskomitee. Wenn ich also nett zu dir sein soll, weil du Freunde brauchst, dann halte ich das nicht für nötig.«
»Wie kann ... ich ... Ich bin ganz anders, als du denkst, und wenn du mir eine Chance geben würdest ...«
Aber sie redet einfach weiter.
»Tu bloß nicht so, als wärst du nicht nach acht Stunden in der Schule überall beliebt«, sagt sie. »Ich will ja nicht unhöflich sein – aber entweder spielen wir eine nette Gesellschaftsparodie und machen auf Freunde, weil wir Nachbarn sind, oder wir sparen uns die Zeit und Mühe. Du kannst tun und lassen, was du willst. Wenn ich richtig liege, bedeutet das, sich bei allen beliebt zu machen. Und ich werde machen, was ich will – und das ist, mich auf meine Kunst zu konzentrieren. In Ordnung?«
Sie wirft mir diesen herablassenden Blick zu, den ich schon tausend Mal gesehen habe. So als wollte sie damit ausdrücken: Ich muss langsam und in einfachen Sätzen sprechen, weil Liam dabei ist . Aber der einzige Gedanke, den ich habe, ist: Ich bin nicht überall beliebt .
Mehr als alles andere auf der Welt will ich ihr beweisen, dass sie sich irrt.
»Tatsächlich«, sage ich, »ist es überhaupt nicht in Ordnung, denn du bist gerade von allen möglichen falschen Vorstellungen ... und Vorurteilen ... ausgegangen und hast ein diskriminierendes Ritual durchgezogen, das auf falschen, äh, Tatsachen beruht. In Wirklichkeit bin ich überhaupt nicht beliebt. Im Grunde bin ich ein Außenseiter. Der totale Außenseiter. Eigentlich hatte ich gehofft, in der Schule Zeit mit dir verbringen zu können, aber jetzt werde ich meine Mittagspause neben der Mülltonne oder so was verbringen. Und außerdem«, füge ich hinzu, »gehe ich jetzt rein.« Ich stehe auf und greife nach meinem iPod.
Darleen seufzt. Ich warte darauf, dass sie Widerspruch einlegt, aber stattdessen zeichnet sie
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