Voll daneben
nachdenklich das Gesicht.
»Ist ... alles in Ordnung?«, fragt er schließlich. »Ich weiß, dass wir uns noch nicht so gut kennen, und ich will nicht den Eindruck vermitteln, als würde ich denken, dass du dich merkwürdig verhältst, wenn du dich in Wirklichkeit nicht merkwürdig verhältst, aber ...« Er hat den Faden verloren. »Was ich damit sagen will, ist, äh ...«
Er räuspert sich.
»Na ja, hast du neulich mit deinem Vater telefoniert? Ich habe nicht gelauscht oder so, aber als du nach Hause kamst, sah es nicht so aus, als wäre dein erster Schultag toll verlaufen. Und deswegen habe ich mir Sorgen gemacht und dachte, dass du vielleicht mit deinem Vater gesprochen hast, bevor du dich auf den Picknicktisch gelegt hast. Und am Wochenende warst du irgendwie so verändert. So, äh ...«
Mein Körper verkrampft sich, und für einen Moment gerate ich richtig in Panik. Ich lasse das ganze Telefongespräch mit Dad in Gedanken noch einmal ablaufen. Wenn Pete weiß, dass mein Vater mich nicht nach Hause kommen lässt, könnte er mich rauswerfen, und wenn das geschieht, werde ich mit Sicherheit nach Nevada ziehen müssen. Was anderes bleibt mir dann gar nicht übrig.
»Das war nicht Dad«, sage ich hastig. »Klang es, als würde ich mit Dad telefonieren? Weil er es nicht war. Es war mein Freund Brad. Er ist ein guter Kumpel, aber manchmal streiten wir uns, und er war es, mit dem ich telefoniert habe.«
Ich bin ein furchtbar schlechter Lügner.
»Dein Freund Brad?«
»Ja.«
»Und dein Verhalten ist kein bisschen merkwürdig? Ich meine, verbringst du deine Wochenenden immer damit, das Wörterbuch zu lesen?«
»Ich will meinen Wortschatz erweitern.«
»Also gut«, sagt Tante Pete mit einem resignierten Seufzer. Erst jetzt schüttet er die Cornflakes in seine Schüssel. Danach sieht es so aus, als wolle er sie essen, aber er tut es nicht. »Ich hoffe bloß, du versuchst nicht, etwas zu sein, was du nicht bist. Ich habe mich immer bemüht, das zu vermeiden. Viele fragen mich: ›Hey, warum wohnst du in einem heruntergekommenen alten Mobilheim in einer gottverlassenen Kleinstadt?‹ Aber weißt du was? Das bin ich. Mir gefällt mein Job, ich mag meine Freunde, ich mag meine Band ... und man muss zu dem stehen, was einem selbst gefällt. Nicht zu dem, was jemand anderem gefällt.«
Ich nicke, aber die ganze Zeit, während Tante Pete spricht, muss ich an das rote Kleid denken. Ich frage mich, warum er es nicht mehr anzieht, wenn er wirklich so frei und emanzipiert ist.Wenn es etwas gibt, womit ich mich wirklich auskenne, dann sind es Kleider – und Tante Petes öde alte T-Shirts und Jeans sind nicht er .
»Du darfst dir von anderen nicht vorschreiben lassen, wie du über dich selber denken sollst«, sagt Pete gerade. »Es gab mal einen Moment –«
»Ist es okay, wenn ich mich jetzt anziehe?«
Er schweigt lange. »Klar«, sagt er schließlich. »Lass dich von mir nicht aufhalten.«
»Cool. Bin gleich fertig.«
Ich mache die Tür zu meinem Zimmer zu und stelle mich vor die Vorhangstange, die ich zu einem Kleiderständer umfunktioniert habe. Ich muss etwas echt Uncooles heraussuchen, aber keines meiner Kleidungsstücke ist von sich aus hässlich, und da ich nur Klamotten trage, die mit meinem Farbtyp harmonieren, passen sogar die seltsamsten Kombinationen immer irgendwie zusammen.
Verdammter Mist.
Der erste Tag – und schon tun sich Hürden auf.
Ich gehe in die Küche.
»Pete? Kann ich mir eins von deinen T-Shirts ausleihen?«
Er wirft mir einen ermatteten Blick zu, den ich als ›Ja‹ interpretiere.
»Danke«, sage ich und laufe über den Flur, um den Kleiderhaufen auf dem Boden seines Zimmers zu durchwühlen. Im Gegensatz zu meinem Zimmer steht in Tante Petes Zimmer ein Kleiderschrank, aber der ist so mit Musikzubehör vollgestopft, dass für Klamotten kein Platz mehr ist.
Pete hat hauptsächlich T-Shirts, die für meine Zwecke perfekt geeignet sind, denn solange es sich nicht gerade um ein richtiges Retro-T-Shirt handelt, drücken T-Shirts aus, dass man gar nicht erst versucht, sich gut anzuziehen. Keins von Tante Petes T-Shirtsist retro. Tatsache ist, er hat nur zwei Varianten. Eine ist schwarz mit weißen Buchstaben, und die andere ist weiß mit schwarzen Buchstaben. Auf allen steht WXKJ , weil er sie kostenlos vom Radiosender bekommt. Die einzige Ausnahme von dieser Regel ist, dass auf dem einen oder anderen T-Shirt ein roter Blitz die Buchstaben WXKJ durchkreuzt. Eines dieser T-Shirts suche
Weitere Kostenlose Bücher