Voll daneben
steht direkt vor meinem Tisch.
Buch? Oh, verdammt ...
»Ich habe es vergessen.«
»Es scheint mir, als hättest du es auch gestern, vorgestern und an jedem anderen Tag dieser Woche vergessen. Hallo?«
Die ganze Klasse kichert.
»Sag mir eines, Liam«, fragt Orlando und klopft mit einem Finger auf meine Tischplatte. »Wie heißt das Buch, das wir gerade lesen?«
Ich erstarre. Was soll diese Fangfrage? Natürlich weiß ich, wie das Buch heißt, das wir gerade lesen. Irgendwas von Shakespeare. Etwas, das sich schwer liest, und deswegen werde ich es am Abend vor der Prüfung von Anfang bis Ende lesen.
»Keine Erinnerung daran?«, erkundigt sich Orlando. »Wie wärees mit der Titelseite? Irgendeine Vorstellung davon, wie sie aussehen könnte?«
In meinem Kopf herrscht gähnende Leere. Ich bin mir sicher, dass ich die Antwort weiß, aber der Nebel in meinem Hirn löst sich nicht auf. Deswegen sehe ich meine Nachbarin an, und die hält mir den Buchdeckel hin, damit ich die Titelseite sehen kann.
»Weiß?«, rate ich.
»Ich habe eine Idee«, sagt Orlando und klopft auf meine Tischplatte. »Warum gehst du nicht zurück ins Sekretariat der Schulberatung und lässt dich erst dann wieder in meinem Unterricht blicken, wenn du das Buch, das wir gerade lesen – Hamlet – sowie den Grammatikführer von Strunk und White, den ich in eurem Unterrichtsplan empfohlen habe, und ein Heft mitbringst. Wie wäre das?«
Das ist zwar keine richtige Frage, aber wenigstens erwartet Orlando auch keine Antwort.
27
ALS ICH NACH HAUSE KOMME, sitzt Pete auf der Couch und sieht fern.
»Wie war dein Tag?«, ruft er aus dem Wohnzimmer, als das Fliegengitter der Haustür mit einem Knall zuschlägt. Ich zucke die Achseln. Ich gehe zum Kühlschrank, um mir eine Diätcola zu holen, aber es gibt nur Bier, also nehme ich Orangensaft.
»Es ist Freitagabend«, sagt Pete und stößt einen Heuler aus, der wie ›Juhu‹ klingen soll. »Hast du schon irgendwelche Pläne?«
Ich schüttele den Kopf.
»Ich habe heute Nacht frei«, sagt er. »Der Sender bringt eine Wunschsendung mit Musik der Achtziger. Die Jungs und ich haben uns gedacht, dass wir vielleicht ins Einkaufszentrum von Hillsborough fahren, um ein bisschen shoppen zu gehen. Hast du Lust?«
Das ist eindeutig irgendeine Falle, aber jede Faser meines Seins fiebert danach, Ja zu sagen. Eine Chance, aus dem Mobilheim herauszukommen, ist zu gut, als dass ich sie vertun dürfte. Es gibt da nur ein Problem.
»Kommt Orlando auch mit?«, frage ich.
»Ja. Stimmt irgendwas nicht?«
Ich schüttele den Kopf. »Natürlich nicht. Ich dachte nur ... du weißt schon, vielleicht hat er ja was anderes vor oder so.«
Tante Pete sieht mich misstrauisch an. »Nein. Er kommt definitiv mit. Hast du damit ein Problem?«
Ich verschütte etwas Orangensaft auf mein Hemd. Es ist eins von Ralph Lauren, weil ich heute auf meiner Kleiderstange nichts Schlimmeres finden konnte. Fluchend renne ich zur Spüle, um die Stelle auszuwaschen, bevor sich der Fleck festsetzt, aber irgendwann höre ich auf zu rubbeln und finde mich mit der großen verfärbten Stelle ab. Ich ziehe das Hemd aus und werfe es in den Mülleimer. Man kann schließlich kein Designerhemd mit einem Fleck darauf tragen.
»Nein, kein Problem«, sage ich. »Ich glaube nur, dass Orlando mich nicht mag. Er hat mich heute Nachmittag aus der Klasse verwiesen.«
Tante Pete reißt vor Überraschung die Augen auf. »Orlando hat dich in Englisch rausgeworfen?«
Ich nicke. »Ja. Weil ich mein Buch vergessen hatte. Als könnte das nicht jedem mal passieren.« Ich nehme mir meine Hemden vor, bis ich einen passenden Ersatz finde. Ich bin gerade dabei, ein elegantes schwarzes T-Shirt mit V-Ausschnitt in Erwägung zu ziehen, als die Haustür aufgeht und Eddie und Dino eintreten.
»Ich bin sicher, alles wird gut laufen«, sagt Pete und wirft mir einen kurzen Blick zu. »Konzentriere du dich darauf, das perfekteste Hemd im Universum herauszusuchen, und ich sorge dafür, dass mein Freund dein vollkommen unschuldiges kleines Ich nicht belästigt, okay?«
Ich nicke. Was Pete jedoch nicht weiß, ist, dass mein Problem nicht ist, das perfekteste Hemd rauszusuchen, sondern das schlimmstmögliche – und ehrlich gesagt habe ich davon keine. Tatsächlich ist meine ganze Garderobe viel zu chic für einen Außenseiter. Shoppen ist eindeutig angesagt.
Aus der Küche ertönt ein Pfeifen, und als ich hinsehe, schaut Eddie mich an und schüttelt den
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