Voll daneben
vor langer Zeit habe ich mir etwas versprochen, an das ich mich immer gehalten habe. Ich habe mir versprochen, niemals anders als ich selbst zu sein, nur um meiner Familie zu gefallen. Ich weiß, du willst deinen Vater beeindrucken, und ich habe mich bemüht, über deinen Putzfimmel und das ganze Zeug hinwegzusehen, sogar als du mein Zimmer saubergemacht hast, was du nicht hättest tun dürfen. Aber irgendwo muss ich die Grenze ziehen, und das ist bei der Band. Allan kann entweder reinkommen und zuhören oder mit dir essen gehen, das ist mir scheißegal, aber die Probe blase ich nicht ab. Nicht für dich, nicht für die kreischende alte Dame, die drei Mobilheime weiter unten wohnt, und ganz bestimmt nicht für meinen verdammten Bruder, der seit Jahren nicht mehr mit mir redet. Bitte mich also nicht noch mal darum.«
Er schiebt den Mikrofonständer an die Wand und geht wieder auf den Flur. Ich wische mir die schweißnassen Handflächen an der Hose ab.
Okay, das ist nicht so gut gelaufen.
Ich räume den Staubsauger weg und gehe zurück in mein Zimmer, um mir meine Garderobe vorzunehmen. Vielleicht lenkt mich das von der Tatsache ab, dass die Jungs Glam-Rock-Hits aus den Siebzigern spielen werden, wenn mein Vater kommt.
Zwanzig Minuten später habe ich immer noch keine Entscheidung getroffen. Das blaugraue Hemd von Dolce und Gabbana, das Mom mir zum Geburtstag geschickt hat, würde zwar sehr gut aussehen, aber Dad hat ja gesagt, ich soll kein Designerstück anziehen. Klar hat er auch gesagt, ich solle nett aussehen, und deswegen hatteich eigentlich vor, ein gewöhnliches Markenhemd zu tragen. Aber jetzt denke ich, dass ich vielleicht doch dieses Hemd anziehen sollte.
Ein Wagen biegt in die Auffahrt ein und ich renne ans Fenster, aber es sind nur Eddie und Dino. Eddie kommt herein und bleibt im Türrahmen stehen. »Du siehst gut aus«, sagt er und rückt meinen Kragen zurecht. »Schlicht. Professionell. Eine ausgezeichnete Wahl.«
»Findest du? Ich könnte mich auch noch umziehen ...«
Jetzt rollt Orlandos Auto in die Auffahrt, und ich gehe wieder in die Küche und starre auf die Uhr. Die Jungs versammeln sich im Wohnzimmer und fangen an, ihre Instrumente zu stimmen. Tante Pete kommt in einer der schlimmsten Aufmachungen, die ich je gesehen habe, aus seinem Zimmer. Hochhackige schwarze Stiefel und eine Stretchhose mit Zebramuster, die längst entsorgt gehört ... beziehungsweise, die gar nicht existieren sollte. Ich hole tief Luft. Also gut. Mir doch egal.
Als es an der Tür klopft, spielen Glitter schon ihr zweites Stück. Ich schaue seit einer halben Stunde intensiv aus dem Fenster, wurde aber von einer riesigen Kakerlake abgelenkt, die aus dem Besenschrank gekrochen ist. Ich habe sie gerade zertreten, als das Klopfen ertönt, und deshalb stehe ich nun mit einem Papiertuch voll zerquetschter Kakerlake im Raum. Ich gerate in Panik und werfe es in den Abfalleimer, doch das gibt Tante Pete genug Zeit, mir zuvorzukommen und die Haustür zu öffnen.
»Ja?«
Ich zwänge mich neben ihn. Ich bin bereit. Ich sehe gut aus, und ich habe die Fotomappe eingepackt. Der große Augenblick ist gekommen.
Nur ist es nicht Dad. Auf der Türschwelle steht ein Mann in Uniform.
»Liam Geller?«
Ich nicke.
»Sergeant Jim Braddock von den US-Streitkräften. Ich freue mich, dich kennenzulernen.« Der Mann streckt mir die Hand hin, und benommen schüttele ich sie.
»Ich habe jetzt keine Zeit«, erkläre ich ihm. »Ich erwarte jede Minute jemanden. Mein Vater kommt gleich und –«
Sergeant Braddock grinst. »Eigentlich ist dein Vater der Grund, warum ich hier bin. Ich habe eine Menge Respekt vor deinem Vater, Liam. Allan ist ein guter Freund von mir, und ich bin sicher, du weißt es zu schätzen, ihn zum Vater zu haben.«
Verwirrt nicke ich.
»Worum geht es hier eigentlich?«, mischt sich Tante Pete ein. Sergeant Braddock sieht erst ihn und dann wieder mich an.
»Liam, dein Vater hat mich gebeten, ihm den persönlichen Gefallen zu tun, heute hierherzukommen und mit dir zu sprechen. Ich weiß, dass du einige Probleme hattest, und dein Vater glaubt, dass du ein idealer Kandidat für die amerikanischen Streitkräfte bist. Ich würde deswegen gern mit dir über deine Möglichkeiten reden. Und vielleicht auch deine Fragen über die Militärlaufbahn beantworten.«
Mein ganzer Körper wird taub. Die letzten Worte des Sergeanten nehme ich nur noch als entferntes Summen wahr.
Tante Pete quellen vor Staunen fast die Augen über.
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