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Voll daneben

Voll daneben

Titel: Voll daneben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K. L. Going
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Fotomappe«, erklärt Pete.
    Vorsichtig öffne ich es und blättere die Seiten um. »Ich weiß«, sage ich leise. Zwischen dem Buchdeckel und der ersten Seite liegt ein dünnes Stück Papier.
    »Es ist ein Geschenkzertifikat für ...«
    »... eine Fotosession.« Ich streiche mit der Fingerspitze über die goldenen Buchstaben.
    Dieses Geschenkzertifikat berechtigt
    Liam Geller
    zu einer Fotosession am zwanzigsten November.
    »Das ist das Atelier, in dem Mom ihre ersten Fotos machen ließ«, flüstere ich. Ich wage kaum zu atmen. Warum tun sie das für mich? Ich schaue von einem zum anderen. Da ist Dino, der mich in die Zelle gesperrt hat, und Orlando, dem ich noch einen Aufsatz schulde, und Tante Pete, der mich schon viel zu lange ertragen hat.
    Pete deutet mit einer Kopfbewegung auf das Geschenkzertifikat. »Ich weiß noch, wie Sarah dort hingegangen ist«, sagt er. »Ich habe versucht, einen früheren Termin für dich zu bekommen, aber man muss lange im Voraus buchen. Der einzige Grund, weshalb sie mir diesen gegeben haben, ist, weil ich ihnen gesagt habe, dass du Sarah Gellers Sohn bist.« Er hält inne und sieht mich prüfend an. »Gefällt es dir?«
    Ich versuche zu nicken.
    »Es ist perfekt«, sage ich schließlich. »Ich werde heute Abend mit Dad über das Modeln reden, da kann ich es ihm zeigen.«
    Die Jungs werfen einander Blicke zu, und Tante Pete atmet tief ein.
    »Gut«, sagt er dann. Seine Stimme klingt zwar verkrampft und er sieht mich nicht an, aber er nickt. »Dann bin ich froh, dass wir es besorgt haben.«

44
    ICH LASSE DIE MAPPE in der Schachtel auf meinem Bett liegen, aber den ganzen Tag über muss ich daran denken. Ich weiß zwar nicht warum, aber das Geschenk gibt mir das Gefühl, als hätte ich eine Zukunft. Eine, die ich noch nicht kaputt gemacht habe. Ich stelle mir vor, wie ich es heraushole und Dad zeige. Wie ich ihm sage, dass ich jetzt einen Grund habe, den Schulabschluss zu machen, und dass es vielleicht doch noch eine Chance für mich gibt, etwas aus meinem Leben zu machen.
    Das wird Dad doch auch sehen, oder?
    Langsam werde ich nervös. Als ich nach Hause komme, riecht es im Mobilheim immer noch nach Rauch, und der Wohnzimmerfußboden ist an der Stelle, an der wir gefrühstückt haben, voller Krümel. Also hole ich den Staubsauger heraus und schiebe ihn geistesabwesend vor mir her. Mein Kopf tut weh, mein Magen verkrampft sich, der Teppich will nicht sauber werden, und deswegen fahre ich immer wieder über die gleiche Stelle. Nach einer Weile kommt Pete über den Flur und stößt einen lauten Seufzer aus.
    »Machst du ihn bitte endlich aus? Wenn du so weitermachst, ist bald kein Teppich mehr übrig.« Er hält einen Mikrofonständer und ein Teil von Dinos Schlagzeug in der Hand. Sofort schalte ich den Staubsauger aus.
    »Was machst du da?«
    Pete legt die Zimbel auf den Boden.
    »Ich stelle die Instrumente für die Probe auf. Was hast du denn gedacht?«
    Der Knoten in meinem Magen zieht sich noch enger zusammen.
    »Hast du vergessen, dass heute Abend mein Vater kommt?« Meine Stimme klingt höher und schriller, als ich wollte, und Pete sieht mich an.
    »Na und?«
    »Ta-Onkel Pete ...«, sage ich langsam und so beiläufig wie möglich.
    Er seufzt. »Warum sagst du nicht einfach ›Tante Pete‹? Ich weiß, dass du mich so nennst. Es macht mir nichts aus.«
    Ich schlucke schwer.
    »Darf ich dich um einen Gefallen bitten?«
    Pete hört kaum zu. Er greift nach den Plattenstapeln.
    »Die werde ich nie wieder sortieren können«, murmelt er. »Sie waren nach Jahrgängen geordnet. Die frühen Siebziger lagen unter der Couch. Die Mittsiebziger waren neben dem Couchtisch. Die Endsiebziger lagen unter dem Fernseher.«
    »Hörst du mir überhaupt zu?«
    »Ja«, sagt er und schmeißt einen Plattenstapel um. »Ich höre dir zu.«
    Ich bete im Stillen, denn ich weiß genau, dass er nicht Ja sagen wird.
    »Könntet ihr heute Abend vielleicht mal nicht proben?«
    Eine lange Schweigepause entsteht, in der Tante Pete die Platten betrachtet, die er gerade umgeworfen hat. Aber er rührt keinen Finger, um sie aufzuheben.
    »Nein«, sagt er schließlich. »Tut mir leid, aber das kann ich nicht machen. Noch nicht mal für dich.«
    Ich beiße mir auf die Lippe. »Es wäre doch nur für einen Abend. Und ihr seid so gut, ihr braucht gar nicht zu üben.«
    Pete stellt den Mikrofonständer ganz bewusst mitten ins Zimmer und sieht mir in die Augen.
    »Ich erwarte ja nicht, dass du das verstehst«, sagt er, »aber

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