Voll erwischt
mich.»
Die beiden Jungs wechselten Blicke. Es schien der beste Sommer ihres Lebens zu werden. Der Blonde schnippte Asche von seiner Zigarette und starrte Norman mit offenem Mund an. Als könnte er nicht glauben, was er da sah, etwas Unerhörtes, so was wie ein Seemonster.
Norman zuckte die Achseln. «Schätze, ihr werdet mich verpfeifen?» sagte er.
Der kleine Blonde schüttelte den Kopf. «Nein», sagte er. «Das würden wir nie tun.»
«Wieso sind die denn hinter Ihnen her?» fragte der Dunkelhaarige.
«Ich bin aus dem Gefängnis abgehauen», sagte Norman. «Bin jetzt seit drei Wochen auf der Flucht. Versuch, so was wie einen Rekord aufzustellen.»
«Einen Rekord?»
«Ja. Der Rekord liegt bei vier Wochen. Ich will versuchen, fünf Wochen draußen zu bleiben. Dann hab ich den Rekord gebrochen.»
«Hier findet Sie garantiert kein Mensch», sagte der Dunkelhaarige. «Sie könnten ewig bleiben.»
Norman lachte. «Nein», sagte er. «Nach fünf Wochen stelle ich mich. Ich werde ein Held sein, wenn ich wieder reinkomme. So lange ist noch nie einer draußen geblieben.»
«Wir werden Sie nicht verpetzen», sagte der kleine Blonde.
Sein Freund stimmte zu. «Nein», sagte er. «Das würden wir nie tun.»
Norman lächelte sie an. «Gut», sagte er. «Vielleicht könnt ihr mir helfen?»
Zwei Stimmen sagten: «Ja.»
«Ihr könnt was von dem Geld da nehmen», sagte er. «Mir was zu essen besorgen, eine Zeitung, ein paar Kippen. Tagsüber kann ich hier nicht raus. Kauft euch auch irgendwas.»
Norman brauchte nur noch ein paar Tage. Er wußte, wenn sie mit einem Hühnchensandwich und einem Brombeerkuchen zurückkamen, dann könnte er sie solange hinhalten. Scheiße, wenn einem so was passierte, das würden sie wahrscheinlich für den Rest ihres Lebens geheimhalten.
Am nächsten Tag brachten sie ihm Fish and Chips vom nächsten Campingplatz, ein neues Sixpack Bier und zwei Pack Zigaretten.
Zwei Nächte darauf brach Norman in ein Haus am Ortsrand ein, besorgte sich Klamotten für die Stadt und hundertsiebzig Pfund in bar. Hätte auch noch das Auto mitnehmen können, stand einfach so vor dem Haus, aber er hätte es in York loswerden müssen, und das könnte die Polizei darauf bringen, wo er war.
Norman wollte nicht, daß jemand von seiner Anwesenheit in York wußte. Noch nicht. Nicht, solange er Urlaub machte.
Nicht, bis er Schneewittchen gefunden hatte. Danach war ihm egal, was passierte. Zu dem Zeitpunkt würde er wahrscheinlich sowohl mit der Stadt als auch mit dem Mädchen fertig sein.
Kapitel 6
Sie brachten den Schreibtisch die Treppe hinauf und stellten ihn vor dem Fenster ab. «Wollen Sie aus dem Fenster sehen oder lieber mit dem Rücken dazu sitzen?» fragte der Chefmöbelpacker.
«Mit dem Rücken dazu», erwiderte Sam Turner und folgte ihnen mit einem Schreibtischsessel in den Raum. «Den hier muß ich zwischen Schreibtisch und Fenster kriegen.»
«Wenn’s mein Büro wär, würd ich’s so machen, daß ich raussehen könnte», meinte der Möbelpacker. «Zusehen, wie all die Klassefrauen ins Betty’s gehen, all diese kleinen Studentinnen, die praktisch keinen Fetzen mehr am Leib haben. Kann ich ihnen bei dem Wetter allerdings auch wieder nicht verdenken.» Er trat ans Fenster und schaute auf den Platz hinunter. «Von mir aus könnten die auch nackt rumlaufen», sagte er. «Ich würde mich nicht beschweren.»
«Ich habe zu arbeiten», sagte Sam. «Muß dem Vermieter Geld rüberschieben. Falls sie sich ganz ausziehen, hab ich auch kein Problem damit, aufzustehen, um mir das anzusehen. Man packt die Sache besser so an, Sie etwa nicht? Besser so als das ganze Büro in der vagen Hoffnung einrichten, irgendwann mal einen nackten Arsch sehen zu können.»
Der Packer und sein Kumpel gingen wieder die Treppe hinunter und brummelten dabei irgendwas über Arbeit und die Kommode rauftragen, und warum, um Himmels willen, war’s nur so heiß?
Der Raum sah immer noch kahl aus, aber zum Teufel auch. Sam strich mit einer Hand über die Schreibtischplatte. Alte, abgelagerte Eiche. Hier und da hatte jemand an der Oberfläche herumgeschnitzt, aber für Sams Zwecke war’s absolut in Ordnung. Er nahm das Telefon vom Boden und stellte es auf den Schreibtisch. Es klingelte nicht.
Sam nahm einen großen Glasaschenbecher von der Fensterbank und stellte ihn neben das Telefon.
Er drehte sich eine Zigarette und klemmte sie sich zwischen die Lippen, ließ sie dort baumeln, steckte sie nicht an. Er setzte sich
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