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Voll gebissen

Voll gebissen

Titel: Voll gebissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carina Mueller
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So kannte ich Kyle überhaupt nicht.
    Ich kannte den überhe blichen Kyle, das Arschloch, das alle niedermachte, die ihm nicht in den Kram passten, den es nicht mal gestört hatte, dass sein (angeblich) bester Freund gestorben war. Und ich hatte – seit ich mit Liam zusammen war – den übertrieben fröhlichen Kyle kennengelernt, der einen immer in einer Lautstärke begrüßte, dass es vermutlich das ganze Dorf mitbekam, wenn er einen von uns sah.
    Doch dieser Kyle hier war mir ganz neu. Und ich war mir auch nicht sicher, ob das ein Stück von dem ganzen Kyle Paket war, oder ob er mich nur verarschen wollte.
    Er kramte in seiner Jeanshose und holte ein zerknülltes Taschentuch heraus, welches er mir hinhielt. Ich wollte schon ablehnen, da es benutzt aussah, doch als könne Kyle Gedanken lesen, sagte er: „Du kannst es ruhig nehmen. Ist ein Frisches.“
    „Danke“, flüsterte ich leise .
    „Gern geschehen. Kann ich sonst noch was für dich tu n?“
    Ich schüttelte den Kopf und er strich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht, wie Liam es immer getan hatte.
    Erneut kämpfte ich mit den Tränen, doch diesmal war ich stärker. Vermutlich war auch einfach nichts mehr da zum Weinen. Ich hatte so viel geheult, dass ich normal schon aussehen müsste wie eine Trockenpflaume – bei dem Flüssigkeitsverlust.
    „Sicher?“, fragte Kyle.
    Ich nickte und putzte mir die Nase.
    Er erhob sich und bot mir seinen Arm an, um mir beim Aufstehen zu helfen, doch ich schüttelte den Kopf.
    „Ich komm nich t mit“, sagte ich, „geh ruhig.“
    „Willst du etwa hier draußen sitzen bleiben?“, fragte er und hob die Augenbrauen.
    Ich nickte. „Du glaubst doch nicht im Ernst, dass ich so verheult in die Klasse geh.“ Ich rang mir ein Lächeln ab.
    „So schlimm ist es gar nicht“, entgegnete Kyle.
    „Ohhh doch! Ich weiß genau, wie ich jetzt aussehe.“ Wieder lächelte ich, diesmal aber überzeugender.
    „Wie du willst .“ Kyle wollte gehen, doch ich hielt ihn zurück.
    „Kyle?“
    Er drehte sich um.
    „ Könntest du mir doch noch einen Gefallen tun?“
    Er nickte.
    „Könntest du mir meine Sachen aus der Klasse holen? Und dem Lehrer sagen, dass mir schlecht geworden ist? Ich möchte ungern …“, doch ich brauchte nicht zu Ende zu reden.
    „Klar“, antwortete Kyle und setz te sich in Bewegung. Es dauerte keine fünf Minuten, da war er schon wieder da und reichte mir Rucksack und Jacke.
    „Danke.“
    „Nicht der Rede wert“, sagte er und machte eine abwertende Handbewegung.
    Ich erhob mich und wollte mich auf den Heimweg m achen, als Kyle mich erneut ansprach. „Emma?“
    „Mmh?“
    Er kam näher und reichte mir eine kleine Karte. „Ruf mich an, wenn du reden möchtest. Wann immer du willst.“
    Ich nickte dankbar und musste unfreiwillig lächeln. Wie viele 17-Jährige gab es schon, die ihre eigene Visitenkarte hatten?
     
    Ich schlenderte nach Haus e. Ich hatte nicht wirklich Lust, schon daheim zu sein und am Ende meiner Mom oder meinem Dad über den Weg zu laufen, deshalb ging ich betont langsam und dachte über Liam nach, wie er sich mir gegenüber verhalten hatte. Warum er überhaupt noch zu mir gekommen war. Jetzt, wo die Sache mit Amilia doch raus war, konnte er sich auch voll und ganz ihr widmen.
    Außerdem dachte ich an Kyle. Es wunderte mich immer noch ein bisschen, dass er so nett und hilfsbereit sein konnte und plötzlich kam ich mir ganz mies vor. Er hatte mich getröstet, weil ich Liam verloren hatte. Aber ich hatte keine Sekunde daran gedacht, ihn zu trösten. Immerhin hatte er Amilia verloren.
    Ich bekam ein flaues G efühl im Magen und hoffte, Kyle würde mir das verzeihen. Er schien echt in Ordnung zu sein, wenn man ihn näher kannte.
    Schneller als gehofft hatte ich unser Haus erreicht. Ich versuchte, mich so leise wie möglich hineinzuschleichen, doch ich hatte Pech. Meine Mom war zu Hause. Besorgt kam sie aus der Küche, als sie mich erblickte.
    „Was ist denn lo s, Spätzchen?“ Sie nahm mir Rucksack und Jacke ab und streichelte mir über die Wange.
    „ Ich … ich hab nur ein bisschen Bauchweh“, log ich und hoffte, dass meine verheulten Augen sich etwas beruhigt hatten.
    Meine Mom musterte mich kritisch, doch sie sagte nichts dazu.
    „Leg dich ein bisschen hin. Ich bring dir gleich einen Tee.“
    „Danke“, murmelte ich und ging die Treppe hinauf in mein Zimmer. Glücklicherweise war ich aufgrund meiner schlaflosen Nacht so müde, dass mir ziemlich bald die Augen zufielen und ich

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