Voll gebissen
versuchte Liam den Kragen des T-Shirts so weit zu ziehen, dass er die Wunde sehen konnte, doch das gelang ihm nicht.
„Warte“, sagte ich kurz und zog das Shirt aus. Meine Schüchternheit konnte ich unter diesen Umständen glücklicherweise mal ignorieren.
Er schob meine Haare beiseite und begutachtete die Wunde. Dann strich er meinen BH-Träger über die Schulter und tastete vorsichtig auf der Wunde rum.
„Autsch!“, entfuhr es mir und Liam schreckte zusammen.
„Sorry“, nuschelte er und nahm dann einen tiefen Atemzug.
„Was tust du da?“, fragte ich etwas pikiert.
„Ich rieche an deiner Wunde.“
„Uäh“, entfuhr es mir. Es war ziemlich eklig, dass Liam an der Wunde roch, aber scheinbar half es ihm, den Schweregrad genauer zu bestimmen.
„Sie ist entzündet“, stellte er fachmännisch fest.
„Ist das gut oder schlecht?“, fragte ich kleinlaut.
„Tja , ich weiß nicht genau.“ Er nahm sein Kinn zwischen Daumen und Zeigefinger und rieb daran. „Ich glaube, das kannst du sehen, wie du willst. Ich bin zwar kein Experte für sowas. Du weißt, dass ich als Wolf geboren wurde und mich somit nicht wirklich mit dem Verwandlungsprozess auskenne, aber was man sich erzählt ist, dass die Wunden, die zu einer Verwandlung führen, sofort anfangen zu heilen, wenn man infiziert wurde. Du erinnerst dich? Der Körper eines Werwolfs heilt schneller.“
Ich nickte bedächtig und erinnerte mich daran, wie Liam angeschossen wurde und eine Woche später nichts mehr davon zu sehen war. Mein Gesicht hellte sich auf.
„Und das bedeutet jetzt für mich?“, fragte ich hoffnungsvoll. Es tat mir leid, wegen Liam. Ich verachtete ihn keineswegs wegen seines Werwolfdaseins, aber ich war heilfroh, dass der Kelch wohl an mir vorüberging.
„Tja , Emma, ich will ganz ehrlich zu dir sein. Ich weiß es nicht. Ich wüsste aber auch nicht, dass schon mal einer einen Werwolfbiss überlebt hat und sich nicht infizierte.“
„Bist du denn sicher, dass ich nicht infiziert bin?“
Liam zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es wirklich nicht. Logisch betrachtet, sollte deine Wunde, wenn du infiziert wärst, schon fast verheilt sein. Aber sie riecht entzündet. Genau genommen nach Eiter. Und du hast Schmerzen. Die hat man normal auch nicht, wenn man das Virus im Körper hat.“
Er seufzte. „Das ist alles sehr merkwürdig. Aber wenn ich vermuten darf, würde ich tippen, dass du nicht infiziert bist. Du hattest wohl einfach unglaubliches Glück.“
Ein glückliches Schnauben entrang sich meiner Kehle. Ich hatte das Gefühl 1000 Kilo Ballast waren gerade von mir abgefallen. Ich war heilfroh! Ich schlang meine Arme um Liam und warf mich auf ihn, so dass wir beide zu Boden fielen. Dann bedeckte ich sein ganzes Gesicht mit Küssen.
„Emma“, lachte er, „so schlimme Schmerzen kannst du gar nicht haben.“
„Oh doch. Und wehe du nimmst das hier als Ausrede, dich nicht um mich kümmern zu müssen!“
Liam lachte lauter. „Nie würde ich …“, doch ich erstickte seine Antwort mit einem Kuss.
Ich war so aufgekratzt ! Ich wurde vermutlich gerade von Endorphinen nur so überschüttet. Ich war nicht infiziert! Das nannte ich mal unverschämtes Glück!
Nachdem ich mich halbwegs wieder beruhigt hatte, setzte ich mich zurück auf den Küchenstuhl und rührte in meinem Kakao. Dann schaute ich Liam an, der ebenfalls wieder auf seinem Stuhl Platz nahm. Es gab nämlich noch ein paar Fragen, die in meinem Kopf herumspukten, und ich wollte unbedingt Antworten drauf.
„Sag mal, kanntest du den Werwolf eigentlich?“
Er schaute nachdenklich aus dem Fenster und mir danach direkt in die Augen: „Ich will ganz ehrlich zu dir sein, Emma. Ich kenne alle Werwölfe hier im Umfeld von mindestens 100 km, aber diesen hier hab ich noch nie gesehen. Sein Geruch kam mir bekannt vor, trotzdem kann ich ihn einfach nicht zuordnen. Ich wollte ihm gestern Nacht bis in sein Versteck folgen. Doch ich hatte Angst, dich allein im Wald liegen zu lassen.“ Liam seufzte schwermütig.
„Ist doch nicht schlimm, wenn du ihn nicht kennst. Er ist weg und das zählt. Nochmal werde ich nicht so unvorsichtig sein und ihm die Chance geben, mich umzubringen.“
Liam griff sich in den Nacken, so wie er es immer tat, wenn er versuchte, Ruhe zu bewahren.
Fragend schaute ich ihn an. „Er ist nicht weg?“
„Ich weiß es nicht genau … In der Nähe ist er nicht mehr, sonst würde ich ihn riechen. Aber es gibt etwas anderes , was mir Sorgen
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