Voll gebissen
Sache abgesegnet hatte, war ja alles in bester Ordnung. Wenn ich mich nicht so furchtbar schwach gefühlt hätte, wäre ich sicher vor Freude durch den Raum gehüpft, doch so begnügte ich mich damit, nur innerlich ein paar Freudensprünge zu machen.
Dr . White zog sich Handschuhe an und tippte vorsichtig mit der Bemerkung „ich sehʼ mir das mal genauer an“ auf der Wunde herum.
Ich biss die Zähne zusammen. Scheiße! Tat das weh! Warum mussten Ärzte auch immer mit den Fingern „sehen“? ! Normale Leute benutzten dafür ihre Augen!
Dann hielt er seinen Riechkolben über die Wunde und holte tief Luft. Igitt! War das irgendein neuer Fetisch, von dem ich noch nichts wusste? Statt an Kleber an Wunden zu schnüffeln?
„Ich will ganz ehrlich zu dir sein, Liam. Die Wunde macht mir Sorgen. Die wird so nicht heilen. Deine Freundin hat ganz glänzende Augen und sie ist heiß wie eine Ofenkartoffel. Außerdem hat sie sehr hohes Fieber, und wenn ich das hier richtig sehe, kommt noch eine Sepsis dazu.“
„Sepsis?“, fragte ich nach.
„Blutvergiftung“, antworteten die beiden unisono.
„Klugscheißer“, grummelte ich vor mich hin.
„Die Wunde müssen wir wohl oder übel aufschneiden, um den Eiter abzulassen. Gegen das Fieber, die Sepsis und die Wunde an sich werde ich ihr eine Spritze geben und sie danach mit Antibiotika behandeln.“
Liam nickte zustimmend.
„Gut, dann werden wir jetzt die Wunde säubern.“ White nahm etwas, das aussah wie Jod und strich meine Schulter damit ein. „Ähm …“, begann ich, doch bevor ich irgendetwas erwidern konnte, wie zum Beispiel: „Wie wäre es mit einer Vollnarkose oder wenigstens einer örtlichen Betäubung?“, hatte Dr. White das Skalpell schon in der Hand und schnitt in die Wunde.
Wider Erwarten war das allerdings nur ein kurzer Schmerz. Die Erleichterung, als der Eiter abfloss, war zum Glück größer.
Ich spürte, wie die heiße Brühe ablief und Dr. White sie immer wieder mit einem Tuch abtupfte. Als von selbst nichts mehr kam, begann er, auf der Schulter herumzudrücken, doch erstaunlicherweise war das nicht halb so schmerzhaft, wie befürchtet.
Nachdem White mich dann als „leer“ betitelt hatte, sprühte er mir so viel Desinfektionsmittel auf die Schulter, dass sich dort vermutlich nicht mal in 100 Jahren noch irgendwas einnisten würde, aber ich wollte ja nicht meckern.
Dr . White machte mir einen dicken Verband, der komplett um die Schulter herumging und aussah, als hätte ich ein Pistolenhalfter umgeschnallt. Danach bekam ich noch eine Spritze und Liam bekam eingeschärft, dass ich von den Tabletten, die er für mich mitbekam, täglich drei nehmen musste.
„Was ist das?“, fragte Liam etwas skeptisch, als er die Kapseln in der Hand hielt, die größentechnisch vermutlich eher für ein Nilpferd gedacht waren, anstatt die zarte Kehle einer 16-Jährigen hinunterzurutschen.
„Ebenfalls ein hochdosiertes Antiseptikum“, antwortete White knapp und klopfte mir dann wie einem alten Gaul auf den Rücken, um mir zu bedeuten, dass ich nun fertig sei. „Und denk dran, Liam. Emma braucht Ruhe. Viel Ruhe! Es wird heilen, aber sie ist immer noch ernsthaft krank. Und da sie kein Werwolf ist, heilt das nicht so schnell wie bei dir.“
Liam nickte ernst und ich konnte mir leider nicht ve rkneifen, ihm die Zunge herauszustrecken.
Dr . White begleitete uns zur Haustür.
„Wie, äh …, ich muss nicht hierbleiben?“, fragte ich etwas verwirrt. Normalerweise musste man doch im Krankenhaus bleiben, wenn man operiert worden war.
„Emma, ich finde es sehr schmeichelhaft, dass du meine G esellschaft so genossen hast und gerne noch bleiben würdest, aber ich hab leider keinen Käfig mehr frei.“
„Käfig?!“ Jetzt klang ich sicherlich noch verwirrter.
„Ja, Käfig. Ich bin Tierarzt. Wusstest du das nicht?“
„Tierarzt?!“, schnaubte ich und funkelte Liam böse an, der mich mit unschuldiger Miene ansah. „Das verzeihe ich dir nicht!“, giftete ich, stapfte an ihm vorbei und schwang mich auf das Moped.
Liam sah den grinsenden Dr. White an und zuckte mit den Schultern. Die zwei verabschiedeten sich voneinander und wir fuhren zu Liams Hütte zurück.
Dort angekommen, warf ich mich auf die Couch, auf der ich bereits den Tag verbracht hatte.
„Soll ich dich nach Hause bringen? “, fragte Liam fürsorglich.
„Tierarzt, hä?“ Ich schaltete den Fernseher an und Liam setzte sich schüchtern neben mich.
„Dir musste doch schnellstmöglich
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