Voll im Bilde
wünschte sich der Betreffende nur dann Hilfe, wenn er dadurch niemandem zur Last fiel.
Der Hund lief die Treppe hoch und stellte fest, daß die Tür einen Spaltbreit offenstand. Mit dem Kopf schob er sie noch etwas weiter auf.
Victor lag am Boden, an einen Stuhl gefesselt. Gaspode setzte sich und beobachtete ihn, für den Fall, daß er etwas Interessantes anstellte.
»Ist alles in Ordnung?« fragte er nach einer Weile.
»Sitz nicht einfach so da, Idiot!« erwiderte Victor. »Binde mich los!«
»Ich mag ein Idiot sein, aber ich bin nicht gefesselt«, sagte Gaspode ruhig. »Ginger hat dich überwältigt, wie?«
»Mir sind für einige Sekunden die Augen zugefallen«, murmelte Victor.
»Für einige Sekunden?« wiederholte Gaspode. »Allem Anschein nach hatte Ginger genug Zeit, um aufzustehen, ein Laken zu zerreißen und dich an den Stuhl zu binden.«
»Ja, schon gut, schon gut. Kannst du mich irgendwie befreien? Wenn du die Fesseln durchbeißt…«
»Mit diesen Zähnen?« entgegnete Gaspode skeptisch. »Ausgeschlossen. Aber ich könnte jemanden holen.« Er grinste.
»Äh, ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist…«
»Keine Sorge. Bin gleich wieder da.« Gaspode verließ das Zimmer.
»Ich meine, wie soll ich erklären…«, begann Victor, aber der Hund trippelte bereits die Treppe hinunter, schlendert über Hinterhöfe und durch Gassen. Hinter den Studios des Flughund-Jahrhunderts näherte er sich dem hohen Zaun. Eine Kette klirrte leise.
»Laddie?« flüsterte Gaspode heiser.
Fröhliches Bellen erklang.
»Braver Laddie!«
»Ja«, sagte Gaspode. »Ja.« Er seufzte. Hatte er sich je so dumm benommen wie Laddie? dachte er. Und: Nun, wenn ich einmal so blöd gewesen bin – wenigstens wußte ich nichts davon.
»Ich brav. Braver Laddie.«
»Ja, natürlich, in Ordnung. Und jetzt sei still.« Gaspode zwängte seinen arthritischen Leib durch eine Lücke im Zaun. Auf der anderen Seite leckte ihm Laddie das Gesicht.
»Ich bin zu alt für solche Sachen«, brummte er und sah sich im Zwinger um.
»Eine Kette mit einer Schlinge, die sich zusammenzieht«, stellte er fest. »Eine verdammte Würgekette. Zerr nicht so daran, du verdammter Narr. Zurück. Zurück. Ja, gut.«
Gaspode schob eine Pfote unter die Schlinge und löste sie von Laddies Hals.
»Na bitte«, brummte er zufrieden. »Wenn das alle Hunde könnten, wären wir die Herren der Welt.«
Laddie nahm Haltung an und ließ die Zunge aus dem Maul baumeln. Es fehlte nicht viel, und er hätte wie ein gehorsamer Soldat salutiert.
Gaspode quetschte sich erneut durch die Lücke im Zaun und wartete. Er hörte Schritte, doch sie kamen nicht näher, sondern entfernten sich.
»Nein!« zischte Gaspode. »Folge mir!«
Pfoten pochten, etwas rauschte. Laddie setzte über den hohen Zaun hinweg und landete perfekt auf allen vier Beinen.
Gaspodes Zunge entrollte sich aus der Kehle.
»Braver Laddie«, sagte er. »Braver Laddie.«
Victor setzte sich auf und hob die Hand zum Kopf.
»Hat ‘ne ziemliche Beule gegeben, als der Stuhl umkippte«, ächzte er.
Laddie starrte ihn an und hielt die Reste des Lakens im Maul.
»Worauf wartet er?« fragte Tugelbend.
»Vielleicht solltest du ihm sagen, daß er brav ist«, schlug Gaspode vor und seufzte.
»Möchte er mit Fleisch oder Süßigkeiten belohnt werden?«
Gaspode schüttelte den Kopf. »Es genügt, wenn du ihn lobst. Hunde wünschen sich nichts mehr, als von Menschen gelobt zu werden.«
»Ach? Na schön. Braver Laddie.«
Laddie sprang glücklich umher, und Gaspode fluchte leise.
»Entschuldige«, knurrte er. »Es ist mitleiderregend, nicht wahr?«
»Such Ginger, braver Laddie«, sagte Victor.
»Das kann ich auch übernehmen«, bot sich Gaspode verzweifelt an, als Laddie an der Tür schnüffelte. »Wir kennen ihr Ziel. Es ist nicht nötig, nach ihr zu su…«
Laddie sauste elegant nach draußen, verharrte am Ende der Treppe und bellte ein aufgeregtes Folgt-mir-Bellen.
»Eine Schande für die Hundeheit«, murmelte Gaspode.
Über Holy Wood schienen die Sterne immer heller zu leuchten. Nun, die Luft war natürlich klarer als in Ankh-Morpork, und es gab keinen Rauch, aber… Die Sterne machten auch den Eindruck, größer und näher zu sein, als forme der Himmel hier eine Art Linse.
Laddie jagte über die Dünen und legte gelegentlich eine Pause ein, damit Victor zu ihm aufschließen konnte. Gaspode folgte weiter hinten, schwankte hin und her und schnaufte.
Die Spur führte zur Mulde am Hügel, doch
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