Voll im Bilde
zu ahnen. Tja, das Bild schien direkt in unseren Köpfen gelandet zu sein, ohne den Umweg über die Augen. Ich habe dem Jungen natürlich eine Abreibung verpaßt, aber wir wären nie dahintergekommen, wenn ich den Streifen nicht genau untersucht hätte.«
Der Kurbeldreher nahm den Leimpinsel und klebte mehrere Bilder zusammen. Nach einer Weile merkte er, daß es hinter ihm sehr still geworden war.
»Alles in Ordnung, Herr Schnapper?«
»Hm? Oh.« Tiefe Falten der Nachdenklichkeit furchten Ruins Stirn. »Nur ein Bild hatte so eine Wirkung?«
»Ja. Fühlst du dich nicht gut?«
»Oh, ich fühle mich bestens. Habe mich in meinem ganzen Leben nie besser gefühlt.«
Schnapper rieb sich die Hände. »Laß uns miteinander reden, von Mann zu Mann«, fuhr er fort. »Weißt du…« Er legte eine freundliche Hand auf Gaffers Schulter. »Ich glaube, dies könnte dein Glückstag sein.«
In einer nahen Gasse hockte Gaspode und brummte.
»Ha! Sitz, hat er gesagt. Gibt mir Befehle. Damit seine Freundin in ihrem Zimmer nicht die Gesellschaft eines kleinen, stinkenden Hunds ertragen muß. Und deshalb sitze ich hier, des Menschen bester Freund, im Regen. Wenn’s regnen würde. Nun, es regnet nich’, aber wenn’s regnen würde, wäre ich längst klatschnaß. Vielleicht sollte ich einfach weggehen. Geschähe ihm ganz recht. Ich könnte es. Klar könnte ich’s. Jederzeit. Ich brauche hier nicht zu warten. Hoffentlich glaubt niemand, daß ich hier sitze, weil man mich dazu aufgefordert hat. Käme mir nie in den Sinn, irgendeinem Menschen zu gehorchen. Ich warte hier nur, weil ich es will. Ja.«
Er jaulte eine Zeitlang und schlurfte dann in eine dunkle Ecke, wo weniger Gefahr bestand, von jemandem gesehen zu werden.
In Gingers Zimmer stand Victor mit dem Gesicht zur Wand. Es war ihm alles sehr peinlich. Zum Beispiel… auf der Treppe hatte er Frau Kosmopilit gesehen, die nicht nur breit grinste, sondern auch eine komplizierte, ellenbogenintensive Geste vollführte. Solche Gesten, fand Tugelbend, sollten nette alte Damen eigentlich gar nicht kennen.
Es klirrte und raschelte gelegentlich, als sich Ginger darauf vorbereitete, unter die Bettdecke zu kriechen.
»Sie ist sehr nett«, sagte die junge Frau. »Gestern erzählte sie mir, daß sie vier Ehemänner hatte.«
»Und wo hat sie die Knochen versteckt?« fragte Victor.
»Ich weiß gar nicht, was du meinst«, schniefte Ginger. »Übrigens: Du kannst dich jetzt umdrehen. Ich liege im Bett.«
Tugelbend atmete erleichtert auf und wandte sich um. Ginger hatte die Decke bis zum Hals hochgezogen und hielt sie wie einen Schild, an dem die Waffen des Feindes abprallen sollten.
»Bitte versprich mir etwas«, sagte sie. »Ganz gleich, was auch geschieht – du wirst die Situation nicht ausnutzen.«
Victor seufzte. »Ich verspreche es.«
»Ich muß an meine Karriere denken, weißt du.«
»Ja, ich verstehe.«
Er nahm neben der Lampe Platz und holte das Buch hervor.
»Ich will nicht undankbar sein oder so«, fuhr Ginger fort.
Victor blätterte, starrte auf die vergilbten Seiten und suchte nach jener Stelle, an der er die Lektüre unterbrochen hatte. Offenbar haben viele Leute ihr Leben am Hügel von Holy Wood verbracht, dachte er. Um ein Feuer in Gang zu halten und um dreimal am Tag zu singen oder zu beschwören. Warum? Und wer ist der Wächter mit dem Schwert?
»Was liest du da?« fragte Ginger nach einer Weile.
»Ein altes Buch, das ich gefunden habe«, erwiderte Victor. »Darin geht es um Holy Wood.«
»Oh.«
»Versuch jetzt zu schlafen«, sagte Tugelbend und neigte das Buch, um die kritzelige Schrift im Lampenlicht zu lesen.
Er hörte, wie Ginger gähnte.
»Habe ich dir alle Einzelheiten des Traums geschildert?« fragte sie.
»Ich glaube nicht.« Victor hoffte, daß seine Stimme sowohl höflich als auch entmutigend klang.
»Er beginnt immer mit dem Berg…«
»Wenn du redest, kannst du nicht schlafen…«
»… und Sterne leuchten dort, über dem Berg, meine ich, und einer von ihnen sinkt herab, aber es ist gar kein Stern, sondern eine Frau, die eine Fackel über den Kopf hält…«
Victor blätterte langsam zum Anfang des Buches.
»Ja?« sagte er gedehnt.
»Und sie spricht zu mir, aber ich kann nicht alles verstehen. Sie fordert mich auf, jemanden oder etwas zu wecken, und dann erstrahlen viele Lichter, und ich höre Gebrüll, wie von einem Tiger oder so. Und dann wache ich auf.«
Victors Zeigefinger folgte den Konturen des Berges unter den Sternen.
»Es ist
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