Voll Speed: Roman (German Edition)
Die geheimnisvolle Witwe, von der alle denken, dass jeder sie haben kann, entpuppt sich als … unnahbar.«
Ich muss lachen. Piroschka Nagy und unnahbar ? Klingt, als würde man die Flamingos mit dem Begriff geistreich in Verbindung bringen wollen.
Phil nickt. »Ich weiß, was du denkst, aber meine Großmutter hat immer gesagt: Willst du gelten, mach dich selten.«
»Wie? Bei euch Zuhause gab es auch blöde Merksprüche?«
Phil muss grinsen. »Was ich sagen will, ist, dass Piroschka Nagys spezielle Form der Publicity den Preis für das Unternehmen in die Höhe treiben dürfte. Sie macht sich rar, und es bleibt ihr Geheimnis, für wen sie Sympathien empfindet und für wen nicht. Das könnte einige der potentiellen Käufer dazu verleiten, die Chancen durch besonders großzügige Offerten zu erhöhen. Schließlich möchte niemand schon in der Vorrunde rausfliegen.«
»Findest du ihre Zurückhaltung attraktiv?« Ich muss unwillkürlich daran denken, dass ich Elsas Zurückhaltung nicht nur attraktiv, sondern atemberaubend sexy finde.
»Es ist zumindest keine schlechte Taktik. Nebenbei kann Piroschka auf diese Weise kaschieren, dass sie nicht viel vom Geschäft versteht. Eigentlich ziemlich clever«, sagt Phil und schaut eine ganze Weile zur Nagy-Suite hinüber.
»Du findest sie aber schon irgendwie scharf, oder?« Ich zucke zusammen, weil nun der Gong für den ersten Vorrundenkampf ertönt. Phil bleibt mir eine Antwort schuldig.
Während sich ein Asiate und ein Typ aus einem Dorf in Sizilien ziemlich unelegant prügeln, lässt Phil Piroschka nicht aus den Augen.
Als er nach vier Runden und zwei Niederschlägen des Sizilianers immer noch keinen Blick zum Ring geworfen hat, mache ich mir langsam ein wenig Sorgen. »Der Boxkampf findet übrigens in dem Viereck in der Hallenmitte statt«, sage ich.
»Ich bin mir sicher, dass sie noch Besuch bekommt«, erwidert Phil. »Behalte du einfach den Ring im Auge.«
Mein Partner ist also nicht von Piroschka Nagys bebenden Brüsten hypnotisiert worden. Beruhigend.
Dem finalen Niederschlag des Sizilianers in Runde sechs folgen nach einer kleinen Pause noch drei weitere Vorkämpfe. Es sind glanzlose Begegnungen, die aber wenigstens nicht sehr lange dauern.
Während die Zuschauer auf den regulären Plätzen das Vorprogramm zu schätzen wissen, wird es im VIP-Bereich nur beiläufig verfolgt. Man überbrückt die Wartezeit bis zum Hauptkampf hier lieber standesgemäß mit Champagner, Fingerfood und Smalltalk.
»Irgendwelche Erkenntnisse?«, frage ich, als die letzte Pause vor dem Hauptkampf begonnen hat und ich somit gerade nichts zum Observieren habe. »Im Ring gab es keine besonderen Vorkommnisse. Vier drittklassige Boxkämpfe. Das war’s.«
»Woher weißt denn du, was einen drittklassigen Boxkampf von einem erstklassigen unterscheidet?«, will Phil wissen.
»Wir haben vorletzte Woche eine Sportsbar im Bau eröffnet. Da laufen Tag und Nacht amerikanische Sportsender. Rufus hat Pay-TV gehackt.«
Phil sieht mich an, dann schüttelt er den Kopf und wendet sich wieder Piroschka zu. »Sie hat alle Kämpfe verfolgt. Ich glaube sogar mit Interesse.«
»Vielleicht kennt sie sich besser aus, als wir denken«, vermute ich.
»Oder sie will den Anschein erwecken«, gibt Phil zurück. »Das würde …« Er unterbricht sich selbst. »Moment mal! Da passiert jetzt was.«
Wir sehen, wie ein glatzköpfiger Typ ohne Charisma Piroschkas Suite betritt und sie mit Handkuss begrüßt. Er verzichtet auf Champagner, sie gönnt sich noch einen, dann plaudern die beiden eine Weile, und der Glatzkopf verschwindet schließlich auf dem gleichen Weg, auf dem er gekommen ist.
»Einer ihrer Mitarbeiter?«, vermute ich.
»Der Trainer von Bosan Kuritz.«
»Klingt wie ein Typ, der mit bloßen Händen Holz hacken kann«, sage ich.
»Er gilt nicht als harter Puncher, falls du das meinst. Technisch und taktisch soll er aber sehr gut sein.«
»Ladies und Gentlemen! Meine Damen und Herren!«, tönt es aus den Lautsprechern, während das Licht in der Halle gedimmt und der Ring hell erleuchtet wird.
»Du kümmerst dich weiter darum, was im Boxring geschieht, und ich behalte Piroschka im Auge«, ordnet Phil an.
Ich sehe, dass Tibor Nagys Witwe wieder ihren einsamen Platz auf dem Balkon bezogen hat. Das Licht der Suiten links und rechts von ihr wabert diffus über die Sitzreihen und hinterlässt einen Schimmer auf Piroschkas Gesicht, der mich an Mondlicht erinnert. Unwillkürlich muss ich wieder an Elsa
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