Vollbeschaeftigt - das neue deutsche Jobwunder
den beiden Jahrzehnten nach der Wiedervereinigung massiv an Fahrt gewannen. Wegen ihrer Bedeutung müssen wir kurz auf sie eingehen, auch wenn dabei so manches rechtliche und institutionelle Detail zu behandeln ist, das nicht unbedingt zum Spannendsten der deutschen Geschichte gehört.
Zunächst also zur Befristung von Arbeitsverhältnissen. Sie wurde nach heftigem politischem Streit mit dem Beschäftigungsförderungsgesetz 1985 ein Stück weit liberalisiert. Bis dahin war es nur in eng begrenzten, sachlich begründeten Ausnahmefällen erlaubt, Arbeitsverträge mit einer Befristung auszustatten (zum Beispiel an den Hochschulen). Ansonsten galt jenseits einer sehr kurzen Probezeit der übliche Kündigungsschutz, der dem Arbeitgeber nur dann gestattete, ein Arbeitsverhältnis zu beenden, wenn es dafür zwingende betriebliche Gründe gab oder der Arbeitnehmer seinen Pflichten nicht nachkam. Ab 1985 war nun bei einer Ersteinstellung grundsätzlich eine maximal zweijährige Befristung ohne Begründung erlaubt.
Das Gesetz schuf damit faktisch die Möglichkeit einer zweijährigen Probezeit. Es öffnete damit die Tür für eine auf zwei Jahre begrenzte Vermeidung des dauerhaften Kündigungsschutzes – ein beachtlicher Schritt in Richtung der Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, denn man sollte erwarten, dass ein Arbeitgeber in der Lage ist, spätestens nach 24-monatiger Arbeit eines Beschäftigten festzustellen, ob der Betreffende für einen Dauerarbeitsplatz geeignet ist. Das Gesetz wurde zwar zunächst für fünf Jahre verabschiedet, aber danach verlängert und schließlich im Jahr 2001 durch eine endgültige Regelung ersetzt, das sogenannte Teilzeit- und Beschäftigungsgesetz. 43 Was die Befristung von Arbeitsverträgen betrifft, übernahm das neue Gesetz im Wesentlichen die Regelung des alten. Im Ergebnis hat es also durchgehend seit 1985 die Möglichkeit gegeben, ohne sachliche Begründung Arbeitsverhältnisse bis zu zwei Jahren zu befristen.
Von dieser Möglichkeit machten die Unternehmen offenbar in der Vergangenheit in hohem Maße Gebrauch. So waren im Zeitraum 2000 bis 2009 stets zwischen sechs und zehn Prozent der Arbeitsplätze von sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten befristet. 44 Da es sich dabei wegen der gesetzlichen Regelung wohl weitgehend um Arbeitsplätze handelt, die innerhalb der letzten 24 Monate besetzt wurden, ist wahrscheinlich der Anteil der Neueinstellungen, der zunächst befristet erfolgt, sehr hoch. Dies deutet darauf hin, dass Unternehmen es sich bei der für sie günstigen Arbeitsmarktlage eigentlich durchweg leisten konnten, eine „verlängerte Probezeit“ zu nutzen, um gegebenenfalls das Arbeitsverhältnis doch nicht in ein dauerhaftes umzuwandeln. Die Gefahr, einen leistungsfähigen Beschäftigten wegen der Befristung nicht halten zu können, wurde also wohl bis in die jüngste Vergangenheit hinein als gering eingeschätzt – ein klares Indiz für einen „Käufermarkt“.
Nun zur Arbeitnehmerüberlassung, dem zweiten Terrain der Liberalisierung. Sie war in der Zeit der Vollbeschäftigung bis in die 1970er-Jahre eine wenig beachtete Randerscheinung. Über die Jahrzehnte der hohen Arbeitslosigkeit entstanden jedoch immer mehr Unternehmen, die sich darauf spezialisierten, Arbeitskräfte allein zu dem Zweck einzustellen, um sie dann anderen Unternehmen als Zeitarbeiter zu überlassen. Ähnlich wie die befristete Beschäftigung erlaubt dies am Markt mehr Flexibilität: Die Regeln des gesetzlichen Kündigungsschutzes gelten für den verleihenden, aber nicht den entleihenden Arbeitgeber, der im Rahmen seiner (frei gestaltbaren) vertraglichen Vereinbarungen mit dem Entleiher Arbeitskräfte einstellen oder entlassen kann. Das Kostenrisiko trägt allein der „Verleiher“, aber er ist als Unternehmer in der Regel auch in der Lage, professionell damit umzugehen, weil er sich auf die Vermittlung von Arbeitsplätzen spezialisiert und deshalb über besonders gute Markt- und Brancheninformationen verfügt.
Erstmalig gesetzlich geregelt wurde die Arbeitnehmerüberlassung bereits 1972, mit einer engen zeitlichen Befristung von drei Monaten. In mehreren Schritten wurde 1985, 1994, 1997 und 2002 die maximale Überlassungsdauer auf sechs, neun, zwölf und 24 Monate ausgedehnt und schließlich 2004 ganz beseitigt (zusammen mit anderen einschränkenden Regelungen). Auch ein aus dem Jahr 1982 stammendes generelles Überlassungsverbot für das Bauhauptgewerbe wurde 2003 gelockert, allerdings nur
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