Vollbeschaeftigt - das neue deutsche Jobwunder
– initiiert von SPD und Grünen, aber von CDU/CSU und FDP in allen zentralen Elementen vollständig mitgetragen und in einem höchst komplexen Vermittlungsverfahren zwischen Bund und Ländern angepasst und austariert. Lediglich die Partei Die Linke, damals noch PDS, opponierte auf parlamentarischer Ebene hart und kompromisslos. Die politische Auseinandersetzung verlagerte sich dabei vorübergehend auch auf die Straße – mit einer langen Serie von „Montagsdemonstrationen“, die mit Schwerpunkt in ostdeutschen Großstädten gegen den Sozialabbau mobilisierten und sich dabei gezielt in die Tradition der politischen Proteste in der späten DDR stellten. Diese Demonstrationen wurden maßgeblich von den Gewerkschaften, aber auch der Linkspartei sowie den linken Flügeln der beiden Regierungsparteien unterstützt.
Bei alledem verlief die politische Auseinandersetzung mit einer Härte, wie es sie wahrscheinlich seit den großen westdeutschen Massendemonstrationen gegen die Kernkraft und den NATO-Doppelbeschluss in den späten 1970er- und frühen 1980er-Jahren nicht gegeben hatte. Auch die politischen Konsequenzen waren weitreichend: Die SPD erlitt eine lange Serie von schweren Wahlniederlagen, weil vor allem sie als klassische Arbeitnehmerpartei von den Gewerkschaften für einen „unsozialen“ Kurs verantwortlich gemacht wurde. Davon profitierte besonders die PDS. Sie gewann in Gewerkschaftskreisen wegen ihrer kompromisslosen Gegnerschaft gegen die Hartz-Reformen große Sympathien. Dies führte in den alten Ländern zur Gründung der WASG („Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit“), einer Abspaltung der SPD, die sich schließlich 2007 mit der PDS zur neuen Partei Die Linke zusammenschloss – ein politisches Erdbeben ersten Ranges, weil es bedeutete, dass die PDS, die ihre Hochburgen bisher allein im Osten hatte, in neuem Gewande nun auch im Westen Fuß fassen konnte. Ein zweites Erdbeben fand im Mai 2005 statt, nämlich die erdrutschartige Niederlage der SPD bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen, die schließlich zu Neuwahlen zum Bundestag im Herbst 2005 führte. Es besteht kaum Zweifel, dass es dafür vor allem ein verantwortliches Thema gab: Hartz IV, der letzte und wichtigste Schritt der Hartz-Reformen. Wie sich zeigte, bedeutete dies das Ende von Rot-Grün unter Kanzler Schröder.
Lichtblicke
Im historischen Rückblick liefern die Hartz-Reformen so etwas wie einen späten Höhepunkt der Epoche der Arbeitslosigkeit in Deutschland. Dies gilt offensichtlich politisch: Niemals zuvor (und bisher nicht danach) war eine schmerzhafte Reform zur Senkung der Arbeitslosigkeit praktisch allein verantwortlich für einen Regierungswechsel. Es gilt aber auch wirtschaftlich: Ab etwa 2005 bewegte sich viel am Arbeitsmarkt. Es kam zu einem besonders kräftigen Wachstum der Beschäftigung, erstmalig seit Langem zu einer deutlichen Senkung der Arbeitslosenquote, und zwar in West und Ost ( Schaubild 4 ), sowie ab 2007 zu einer Abnahme des Anteils der Langzeitarbeitslosen an der gesamten Arbeitslosigkeit ( Schaubild 10 ). Manche Beobachter führten dies allein auf die Hartz-Reformen zurück, was abwegig ist. Denn die Erholung wurde getragen von einem exportgetriebenen Wachstum, das erstmalig seit Langem eine große Zahl neuer industrieller Arbeitsplätze entstehen ließ, und dies praktisch überall in Deutschland. Es war am Arbeitsmarkt das erste große positive Ergebnis der verbesserten Wettbewerbsposition der deutschen Wirtschaft aufgrund erfolgreicher Modernisierung der Industrie bei moderaten Lohnabschlüssen. Genau dies verbesserte auch die Chancen jener Arbeitskräfte, die bisher auf der Schattenseite des Arbeitsmarktes standen.
Also eine viel breitere wirtschaftliche Verbesserung, als die Hartz-Reformen jemals hätten bewirken können. Trotzdem ist es nicht ganz falsch, die Hartz-Reformen auch wirtschaftlich als einen ganz wichtigen Schritt anzusehen. Ihre Bedeutung lässt sich am besten ermessen, wenn man sie als einen letzten großen Baustein in der Liberalisierung des deutschen Arbeitsmarktes betrachtet. Diese reichte nun vom Kündigungsschutz über die Zeitarbeit und flexiblere Tarifverträge bis zur Arbeitslosenunterstützung. Innerhalb von rund zwei Jahrzehnten war doch eigentlich das gesamte Spektrum der Arbeitsmarktordnung verändert worden – nicht fundamental, aber doch signifikant, und zwar in Richtung einer Öffnung. Es war nicht der Weg in die Hire-and-fire-Welt, die es – tatsächlich
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