Vollbeschaeftigt - das neue deutsche Jobwunder
jedenfalls geholfen, einen beachtlichen Berg von Problemen abzuarbeiten. Das ist das Verdienst einer ansonsten glanzlosen Generation. Jedenfalls aus Sicht des Verfassers dieser Zeilen. Er ist übrigens Jahrgang 1956.
1.5 Die Zukunft: Ein neues Paradies?
Die Babyboomer verabschieden sich – so lässt sich die fernere Zukunft am Arbeitsmarkt in einem Schlagwort beschreiben. Natürlich tun sie dies noch nicht gleich, aber spätestens ab 2020 wird die demografische Entwicklung dafür sorgen, dass die Zahl der Erwerbspersonen in Deutschland in etwa so stark abnehmen wird, wie sie seit der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre zunahm. Wir werden dann an der anderen Seite des Berges ankommen: Die zahlenstarke Babyboomer-Generation geht und die überaus zahlenschwache Generation der nach 1990 Geborenen kommt. Tatsächlich ist diese neu ankommende Generation als Alterskohorte in absoluten Zahlen die kleinste seit der Gründung des Deutschen Reiches, und dies, obwohl das Deutsche Reich damals nur etwa 41 Millionen Einwohner hatte, also halb so groß war wie Deutschland heute. 55
Um die Dimension der Veränderung zu verstehen, ist es nützlich, einen Blick auf die gängigen Prognosen der Entwicklung des Potenzials an Erwerbspersonen zu werfen ( Schaubild 11 ). 56 Danach wird die Zahl der Erwerbspersonen bis 2020 zunächst moderat, aber schon mit zunehmender Geschwindigkeit abnehmen, insgesamt um etwa 2,5 Prozent, also rund 1,1 Millionen, der Großteil davon in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts. Bis zum Jahr 2030 werden es schon rund 4,2 Millionen weniger Erwerbspersonen sein, also fast zehn Prozent. Die Geschwindigkeit der Abnahme wird ihren Höhepunkt etwa um 2030 erreichen. Danach geht die absolute Zahl der Erwerbspersonen zwar weiter zurück, aber mit gemäßigtem Tempo, einfach weil dann die Babyboomer bereits weitgehend im Ruhestand sind und sich die folgenden Generationen von Ankommenden und Ausscheidenden in der Größenordnung nicht mehr so stark voneinander unterscheiden werden wie zuvor. Bis 2050 wird es pro Jahrzehnt noch einmal um eine Abnahme von 2,9 beziehungsweise 2,1 Millionen gehen, also sechs bis sieben Prozent des jeweiligen Standes. Rein rechnerisch wird dies nach den gängigen Prognosen sogar danach noch so weitergehen; allerdings beruhen diese Szenarien sehr stark auf Annahmen über die Geburtenraten der Zukunft, die natürlich weit unsicherer sind als Aussagen über die bereits bekannten Geburtenraten der Vergangenheit.
Klar ist: Prognosen sind stets mit Vorsicht zu interpretieren, wenngleich die Erfahrung lehrt, dass von allen Prognosen jene noch am besten sind, die auf Annahmen über die demografische Entwicklung beruhen. Denn diese ist vergleichsweise träge – träger jedenfalls, als die langfristige Veränderung vieler anderer volkswirtschaftlicher Größen. In jedem Fall ist die Dimension der Veränderung so drastisch, dass sie als ein fundamentaler Wandel betrachtet werden muss: Deutschland steht am Arbeitsmarkt – in historischen Zeiträumen betrachtet – kurz vor einer völlig neuen Herausforderung, die es in dieser Form noch nie gegeben hat. Was es zuletzt gab, war das Umgekehrte: fast vier Jahrzehnte der ungewöhnlich starken Zunahme der Erwerbspersonenzahl. Und was es davor von den späten 1950er- bis zu den frühen 1970er-Jahren gab, war dagegen nicht mehr als eine moderate demografische Delle. Auch die weiter zurückliegende Geschichte des deutschen Arbeitsmarkts liefert keinen Präzedenzfall, einfach weil das Land seit der Industrialisierung durchweg eine wachsende Bevölkerung aufwies.
Gleichwohl sind die historischen Erfahrungen keineswegs bedeutungslos. Sie zeigen nämlich, dass es der deutschen Wirtschaft und Politik bisher nie gelang, einen fundamentalen Wandel der Knappheitsverhältnisse am Arbeitsmarkt so „abzufedern“, dass extreme Situationen – Überbeschäftigung oder hohe Arbeitslosigkeit – vermieden werden konnten. Steuern wir also geradewegs auf eine neue Überbeschäftigung zu, vielleicht im Stil des Kaiserreichs ab 1895 und Westdeutschlands in den 1960er-Jahren? Wir können dies natürlich heute noch nicht wissen, aber wir können zumindest versuchen, die derzeitige Lage der deutschen Volkswirtschaft und ihres Arbeitsmarkts sowie die zu erwartenden Trends noch etwas schärfer in den Blick zu nehmen. Dies tun wir im Folgenden.
Zunächst zur aktuellen Lage. Wie stellt sich die deutsche Wirtschaft heute dar, in der ersten Phase der 2010er-Jahre? Die Antwort
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