Vollbeschaeftigt - das neue deutsche Jobwunder
überaus gut im internationalen Wettbewerb. Der Verlauf jener merkwürdigen Krise des Jahres 2009, die wir in Teil 1.1 beschrieben haben, belegt es. Offenbar sind die Arbeitsplätze, die über die langen Jahre der Anpassung – und vor allem auch seit 2005 – entstanden sind, überaus nachhaltig. Die Unternehmen scheuen sich, sie aus kurzfristigen zyklischen Gründen abzubauen. Das ist zunächst einmal ein gutes Zeichen. Aber was wird die weitere Zukunft bringen?
Armut an Ideen?
Die Babyboomer unter der Lupe
Am 17. Februar 2012 trat Bundespräsident Christian Wulff, Jahrgang 1959, von seinem Amt zurück. Dieses Ereignis nahm zwei Tage später Frank Schirrmacher, auch Jahrgang 1959 und einer der Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung , zum Anlass für eine Analyse der „Generation Wulff“, der Babyboomer. Seine Diagnose: Diese Generation leidet an chronischer Ideenarmut und weltanschaulicher Substanzlosigkeit. Das Einzige, was ihr an ideologischen Prinzipien über die Jahre einfiel, war der Neoliberalismus, also der blinde Glaube an den Markt, den diese Generation – wegen ihrer schieren Größe – als Nachfrager ohnehin dominiert.
So Schirrmacher. Ein vernichtendes Urteil, das allerdings nicht unwidersprochen blieb. In einer empörten Replik verteidigte der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier (Jahrgang 1951) die Babyboomer-Generation als besonders engagiert, motiviert und begeisterungsfähig, und zwar quer durch das politische Spektrum, ob es nun – eher von links – um die Umwelt- und Friedensbewegung oder – eher von der rechten Mitte – um die deutsche Wiedervereinigung ging. Nicht „so schnell wie möglich in Pension“ sei die Devise der Babyboomer, sondern so lange wie möglich Herausforderungen!
Wer hat nun recht, Schirrmacher oder Bouffier? Die Antwort lautet: beide teils, aber keiner ganz. Tatsächlich durchzieht die Politik und Praxis der Babyboomer ein tiefer Zug der ideologiefernen pragmatischen Anpassung an die Realitäten. Dies teilt sie übrigens mit der „skeptischen Generation“ (Helmut Schelsky), die sich unmittelbar nach dem Erleben des Zweiten Weltkriegs mit Haut und Haar in den Wiederaufbau stürzte, aber wenig mit großen weltanschaulichen Entwürfen anzufangen wusste. Zwischen beiden Generationen liegen die 68er, die vehement, aber nicht allzu lange die Banner des linken Radikalismus schwangen.
Man mag den Pragmatismus der Babyboomer als Prinzipienlosigkeit geißeln. Ihn zu erklären ist allerdings nicht wirklich schwierig: Es war der Schatten der chronischen Arbeitslosigkeit, der seit 1973 über Deutschland lag und ideologische Träume zerstörte. Auch die Neigung zu marktwirtschaftlichen Lösungen in der Politik – von Gegnern als „Neoliberalismus“ diffamiert – mag damit zusammenhängen; denn wer nüchtern ökonomisch auf die Realität blickte, der war schnell geneigt, sich von großen Entwürfen ganzheitlicher Politik zu verabschieden, seien sie nun reaktionär, konservativ, grün oder sozialistisch. So überrascht es nicht, dass diese Generation sich nach zunächst heftigen Kämpfen in den 1970er-Jahren in ihrer Mehrheit mit Atomkraft und Nachrüstung abfand und die deutsche Einheit mit dem Vermerk „unmöglich“ ad acta legte.
Allerdings hatte der Pragmatismus auch eine Kehrseite. Sie bestand in dem unterschwelligen Fortwirken dieser unerledigten Herausforderungen auf einer Art ideologischen Sparflamme. Denn als sich dann später plötzlich die Chancen auftaten, die alten großen Ideen zu verwirklichen, da stand diese Generation schnell und willig bereit, sich an die Arbeit zu machen. Das beste Beispiel dafür ist die Deutsche Einheit: Ältere Generationen hatten sie noch herbeigesehnt, die westdeutschen Babyboomer waren dagegen zunächst mit ganz anderen Themen beschäftigt. Aber als sie sich dann nach dem Mauerfall eher verdutzt dem Freiheits- und Einheitswillen der Ostdeutschen gegenübersahen, machten sie mit und leisteten Beachtliches. Sie taten es nicht aus tiefster innerer Überzeugung wie die ältere Generation mit Brandt, Kohl und Genscher, wohl aber aus einem Gefühl der gesellschaftlichen Verantwortung, dem man sich nicht entziehen konnte und wollte.
Ist das nun geistige Ideenarmut und Substanzlosigkeit? Oder ist es geistige Offenheit und Bereitschaft zur Gestaltung? Vielleicht alles zusammen. Es müssen ja nicht immer in der deutschen Geschichte die Trompeten der Ideologie laut blasen. Die Erholungspause des Pragmatismus hat
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