Vollbeschaeftigt - das neue deutsche Jobwunder
lautet: wie ein Unternehmen, das durch eine lange Rosskur der Modernisierung und Kostensenkung gegangen ist und diese durchaus erfolgreich abgeschlossen hat. Es fällt schwer, für die weitere Entwicklung pessimistisch zu sein: Die konjunkturelle Krise 2009 wurde relativ leicht überwunden; die Wettbewerbsposition der deutschen Industrie auf den Weltmärkten ist stark; ihre Stellung in Europa als „Exportmotor“ ist unstrittig, ihre Chancen in den schnell wachsenden Märkten der großen „emerging market economies“ wie Indien und China sind es ebenso; ihr Spezialisierungsmuster mit Schwerpunkten auf qualitativ hochwertigen Ingenieurleistungen wirkt zukunftsträchtig; ihre Orientierung auf Forschung und Innovationen ist solide und gefestigt; ihr duales System der betrieblichen Ausbildung bleibt im internationalen Vergleich vorbildlich, zumal es die Jugendarbeitslosigkeit auch in den schlimmsten Zeiten relativ niedrig hielt. Natürlich gibt es weiterhin Mängel, aber die meisten davon haben durch Reformen und marktgemäße Anpassungen eher an Gewicht verloren: Ostdeutschland hängt weiter zurück, hat aber industriell große Schritte nach vorn gemacht; die traditionelle deutsche Schwäche bei Dienstleistungen mag fortbestehen, aber sie ist nicht mehr so brisant wie früher, und zwar weil produktionsbezogene Dienste im Schlepptau der Industrie wachsen und weil personenbezogene Dienste sowie der Einzelhandel liberalisiert wurden (wie zum Beispiel die Ladenschlusszeiten); noch immer kann sich der Risikokapitalmarkt in Deutschland mit dem der Vereinigten Staaten nicht messen, aber es gibt doch zunehmend auch hierzulande vielversprechende Start-ups im Umfeld der Universitäten.
Kurzum: Die deutsche Wirtschaft ist sehr gut vorbereitet, im weiteren Prozess der Globalisierung ihren Platz in der Weltspitze des Pro-Kopf-Einkommens und der Arbeitsproduktivität zu verteidigen oder gar auszubauen. Wie kraftvoll das Wachstum ausfällt, hängt dabei natürlich – wie zu früheren Zeiten – vor allem auch von der weltwirtschaftlichen Dynamik ab. Aber jene breite Palette schwerer, spezifisch deutscher Probleme gibt es nicht mehr, ganz anders als in den letzten Jahrzehnten. In dieser Hinsicht lassen sich Parallelen ziehen zum ersten großen Übergang von der chronischen Arbeitslosigkeit zur Vollbeschäftigung: die 1890er-Jahre. Auch damals gab es – zeitlich vorgelagert – eine lange Phase der Unterbeschäftigung und der nur schwachen Reallohnsteigerungen. Diese blieb aber keineswegs wirtschaftlich und politisch ungenutzt: Die Industrie wurde modernisiert, der Strukturwandel schritt voran, die wissenschaftlich fundierte Industrieforschung hielt Einzug und die Rahmenbedingungen für wirtschaftliches Wachstum wurden verbessert, damals unter anderem durch den Ausbau der Infrastruktur, technischer Hochschulen, wirtschaftsfreundlicher Verbände und kommunaler Verwaltungen. Deutschland stand jedenfalls anschließend bereit, sein Zug um Zug erweitertes Produktionspotenzial voll auszuschöpfen.
In den letzten Jahrzehnten waren natürlich die Aufgaben andere. Neben dem Aufbau Ost und den Anforderungen der Globalisierung gingen sie vor allem in die Richtung, der deutschen Wirtschaft mehr Anpassungsflexibilität zu verschaffen, zusätzlich zu ihrer schon traditionell starken Innovationskraft. Dies ist in bemerkenswerter Weise gelungen. Es bleibt als letzte große Aufgabe nur noch das Erreichen der Vollbeschäftigung. Hier gab es seit 2005 zwar Fortschritte, aber erreicht ist das Ziel offenbar noch nicht, denn es gab 2011 noch fast drei Millionen Arbeitslose im Land. Hinzu kommt, dass viele Beschäftigte – fast 1,4 Millionen – derzeit noch Tätigkeiten ausüben, die so schlecht bezahlt werden, dass sie im Rahmen der Hartz-IV-Regeln einen Anspruch darauf haben, ihr Einkommen mit staatlichen Zuschüssen aufzubessern. Diese „Aufstocker“ würden sehr gerne, wenn nur möglich, ihren Job wechseln oder ihre Arbeitsbedingungen einschließlich der Entlohnung verbessern. Sie sind eine Art „stille Reserve“, die keineswegs als wirklich zufriedenstellend beschäftigt gelten kann. Hinzu kommen noch auffallend viele Zeitarbeiter, die noch nicht in ein rundum gesichertes Beschäftigungsverhältnis vermittelt sind, es aber wahrscheinlich in der großen Mehrheit gerne wären.
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