Vollbeschaeftigt - das neue deutsche Jobwunder
Vergangenheit an, jedenfalls in der deutschen Industrie. Sie verschwinden unaufhaltsam, Schritt für Schritt. Denn die Arbeit wird immer komplexer und die Anforderungen werden immer höher. Tatsächlich war dies ein Trend, der sich statistisch gut belegen ließ. Vor allem in den 1990er-Jahren nahm der Anteil der einfachen Jobs an der gesamten Beschäftigung im verarbeitenden Gewerbe in recht kurzer Zeit deutlich ab, von rund 30 auf 25 Prozent. Also: absolut düstere Perspektiven für jene Erwerbspersonen, die ohne berufliche Qualifikation in den Arbeitsmarkt strömen. Für sie blieben nur einfache Jobs im Bereich persönlicher Dienstleistungen: schlecht bezahlt, kaum angesehen, ohne Aufstiegsperspektive.
Irgendwann in den frühen 2000er-Jahren begann dann der allgemeine Wiederaufstieg der deutschen Industrie. Ab Mitte des Jahrzehnts nahmen die Beschäftigungszahlen im verarbeitenden Gewerbe wieder zu, aber alle erwarteten, dass diese Expansion fast nur den besser qualifizierten Stellen zugutekommen würde. Weit gefehlt, so jedenfalls das Ergebnis einer wichtigen Studie des Dortmunder Industriesoziologen Hartmut Hirsch-Kreinsen und seines Teams, die 2010 erschien. Danach stieg der Anteil der einfachen Industriejobs sogar wieder leicht, auf 26 Prozent im Jahr 2007, und zwar nach mehrjähriger Stagnation. Der langjährige Trend scheint vorerst gestoppt.
Über die Gründe für diese noch zaghafte Trendwende lässt sich bisher nur spekulieren. Die Autoren der Studie liefern folgende Deutung: Mit dem Einzug modernster computergestützter Technologie in den Fabrikhallen gab es nicht nur eine Automation der Produktion, die einfache Tätigkeiten wegrationalisierte; es gab gleichzeitig eine Zunahme an Kontroll- und Überwachungsfunktionen, die keineswegs ein hohes Niveau der Qualifikation der Beschäftigten erfordern. Es sind ihrem Wesen nach durchaus simple Routinetätigkeiten, die zwar ein hohes Maß an Verlässlichkeit und Aufmerksamkeit verlangen, aber keine besondere Spezialität der Ausbildung. Der Trend hat deshalb auch eine klare Struktur: Im physischen Produktionsprozess, der traditionellen Domäne der Hilfsarbeiter, nahm die Zahl der einfachen Jobs ab, während sie in der Bedienung von Maschinen und bei sonstigen Dienstleistungen im Betrieb anstieg. Es ging also eher um subjektive Eigenschaften der kognitiven Präsenz, die gefordert sind, und weniger um Körperkraft.
Die Entwicklung zeigt, wie vorsichtig man schon in der Vergangenheit mit der simplen Fortschreibung von Trends umgehen musste. Dies gilt umso mehr für die Zukunft: Wenn nämlich die Computer- und Informationstechnologien auf längere Sicht die Bedienung industrieller Anlagen drastisch vereinfachen sollten, dann könnte daraus ein neues Feld der beruflichen Chancen für den traditionellen Hilfsarbeiter oder -angestellten entstehen. Dies gilt vor allem dann, wenn hoch qualifizierte Arbeitskräfte knapp werden und nicht mehr für diese einfachen Jobs zur Verfügung stehen, weil sie anderweitig besser bezahlte und verantwortungsvollere Tätigkeiten finden. Dann hört seitens der Unternehmen das lange Zeit übliche Rosinenpicken auf, einfach weil es im Pool der Arbeitsuchenden keine Rosinen mehr gibt. Und die Erwerbslosigkeit sinkt auf breiter Front, auch beim Hilfspersonal.
Viel hängt davon ab, wie „bedienungsfreundlich“ der industrielle Maschinenpark ausfällt, der als Ergebnis des weltwirtschaftlichen Wandels und des technischen Fortschritts in Deutschland entsteht. Gerade die Entwicklung der Informations- und Wissensgesellschaft lässt da durchaus Hoffnung aufkommen. Man merkt es ja selbst zu Hause als privater Nutzer: Mit Personal Computer, iPad und Internet ist vieles an technischen Finessen verschwunden, was der geplagte Nutzer früher gelernt haben musste, ehe er überhaupt von den neuen Möglichkeiten produktiven Gebrauch machen konnte. Was allerdings nötig bleibt, sind kognitive Präsenz, Motivation sowie ein Mindestmaß an Allgemeinbildung – Lesen, Schreiben, Rechnen etc. Ganz ohne Schule geht es eben doch nicht.
Es gibt also derzeit zweifellos noch Potenziale an zusätzlicher Arbeitskraft, die nutzbar sind. Allerdings nehmen diese sich doch recht gering aus im Vergleich zur demografiebedingten Abnahme der Zahl an Erwerbspersonen, die noch folgen wird. Hinzu kommt, dass diese Abnahme in hohem Maße den Kernbereich der Facharbeiter und -angestellten betrifft, während die noch verfügbaren Potenziale tendenziell die weniger gut
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