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Vollbeschaeftigt - das neue deutsche Jobwunder

Vollbeschaeftigt - das neue deutsche Jobwunder

Titel: Vollbeschaeftigt - das neue deutsche Jobwunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Paqué
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wurden.
    Wahrlich eine glückliche Gesellschaft, eine Art Paradies! Allerdings nur für die Arbeitnehmer selbst, nicht für die Kunden. Denn die ständige Vollauslastung aller Kapazitäten der Produktion sorgte – mitten in der Marktwirtschaft – für Engpässe in der Lieferung und viele Mängel in der Produktion. Es gibt noch heute überall in Westdeutschland steinerne Zeugen dieser Schlamperei: Viele öffentliche Gebäude, die damals entstanden – Schulen und Universitäten, Sporthallen und Stadtverwaltungen –, haben die Zeit zwar überdauert, aber nur weil in späteren Jahren massive Investitionen zur Reparatur und Erneuerung dafür sorgten, dass die Substanz erhalten blieb. Auch die Architektur der 1960er-Jahre hat nicht gerade einen untadeligen Ruf bewahrt: Zu banal und lieblos war so mancher Entwurf, der im Bauboom der damaligen Zeit umgesetzt wurde. Offenbar fehlte es auch bei der Planung an jenem hohen Niveau von Inspiration und Sorgfalt, das sich wohl erst bei hartem Wettbewerb um wenige Aufträge einstellt.
    Die Qualität der Lieferleistung ist nicht das einzige Opfer der Vollbeschäftigung. Es gibt mindestens ein weiteres: die Freizeit. Wir haben uns in den deutschen Tarifverträgen an immer mehr Urlaubstage gewöhnt, in den meisten Branchen rund 30 Tage pro Jahr; und an eine Jahresarbeitszeit, die im internationalen Vergleich sehr niedrig liegt. Aber wird dies so bleiben, wenn auf breiter Front die Nachfrage nach zusätzlicher Arbeitszeit jedes Einzelnen durch die Unternehmen ansteigt? Werden die Arbeitnehmer auf sechs Wochen Jahresurlaub bestehen, wenn ihre Arbeitgeber händeringend (und mit Zuschlägen!) darum bitten, doch dieses oder jenes Projekt zu Ende zu bringen, wo die Kunden doch so dringend warten? Immerhin war auch in den letzten Jahrzehnten schon zu spüren, dass zumindest im öffentlichen Dienst bei vielen Arbeitnehmern regelmäßig „Resturlaubstage“ übrig blieben, die dann in einem Schlag am Ende der Frist „abgefeiert“ wurden.
    Es spricht also doch manches dafür, dass der scheinbar unaufhaltsame Aufstieg der Freizeitgesellschaft zu Ende geht. Ist das ein Kollateralschaden der Teilhabe? Wohl nur dann, wenn man den Genuss von immer mehr Freizeit als einen Wert an sich betrachtet, den es um jeden Preis zu erhalten gilt. Ansonsten ließe sich gelassen feststellen: Ein wenig mehr Arbeit für alle (und dies auch noch freiwillig!), das kann einer Gesellschaft wie der deutschen kaum ernstlich schaden.

2.   Deutschland: Leben mit Vollbeschäftigung
2.1   Arbeit wird teuer!
    Was knapp ist, wird teurer. Eigentlich eine Binsenweisheit, denn kaum jemand käme auf den Gedanken, zu bezweifeln, dass in einer Marktwirtschaft besonders begehrte Güter einen hohen Preis erzielen. Gilt diese Binsenweisheit auch für die Arbeitskraft? Im Prinzip ja, allerdings lehrt die Geschichte, dass die Löhne sich in der Regel sehr viel verzögerter und zäher anpassen, als dies Preise auf anderen Märkten tun. Das kann nicht überraschen: Löhne werden am Arbeitsmarkt bestimmt, und der gehört zu jenem Bereich der Wirtschaft, in dem in der Regel längerfristige oder unbefristete Verträge vereinbart werden. Dabei spielen Vertrauen und Verlässlichkeit der Beziehung zwischen Nachfrager und Anbieter eine viel größere Rolle als in vielen anderen Märkten. Es gibt deshalb auch eine Vielzahl von ökonomischen, politischen, kulturellen und sozialen Kriterien, die in ganz unterschiedlicher Weise in die Lohnsetzung Eingang finden. Gerade diese ändern sich aber oft nur langsam, viel langsamer jedenfalls als die eigentliche Knappheit der „Ware Arbeitskraft“. 57 Dies unterscheidet die Lohnsetzung fundamental von der schnellen und reibungslosen Preisfindung in „Spotmärkten“, wie sie sich etwa für schnell verderbliche Waren oder für Finanzprodukte herausgebildet haben.
    Gerade die letzte historische Phase der Knappheit an Arbeitskräften hat diese verzögerte Anpassung der Löhne eindrucksvoll gezeigt, wie wir in Kapitel 1 gesehen haben. 58 So war in Westdeutschland schon Ende der 1950er-Jahre Vollbeschäftigung erreicht, aber es dauerte noch ein ganzes Jahrzehnt, bis es zu einer kräftigen Erhöhung der Löhne kam, die weit über die Zunahme der Arbeitsproduktivität hinausging. Dann allerdings schossen die Löhne und Lohnstückkosten steil nach oben. Damals waren zunächst wilde Streiks und schließlich eine veränderte Position der Gewerkschaften für den Wandel verantwortlich: von der Kooperation zur

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